Page 49 - Weiss, Jernej, ur. 2017. Glasbene migracije: stičišče evropske glasbene raznolikosti - Musical Migrations: Crossroads of European Musical Diversity. Koper/Ljubljana: Založba Univerze na Primorskem in Festival Ljubljana. Studia musicologica Labacensia, 1
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die stilistische vielfalt von orlando di lassos weltlichem schaffen ...

Notenbeispiel 12: „Bon jour mon coeur“: „Ma gente tourterelle“.
öffnenden Anruf gelten und ihn sogar zweimal einbringen. Auch im wei-
teren Verlauf spürt Lasso immer wieder einzelnen Akkorden nach, die er
besonders lang klingen läßt oder durch Querstände speziell beleuchtet: So
folgen bei den Worten „Ma mignardise, Bonjour mes délices, mon amour“
(Notenbeispiel 11) die Dreiklänge von „A-Dur“ mit „cis“ und „C-Dur“ mit
„c“ zweimal knapp nacheinander, einige Takte später (bei „Mon doux
printemps, Ma douce fleur novelle“) zwei „G-Dur“-Dreiklänge und ein
„E-Dur“-Dreiklang; zudem erklingen hier auch ein „A-Dur“-Dreiklang
und ein „a-Moll“-Dreiklang in großer Nähe. Im übrigen scheinen das Ein-
bringen des Tones „b“ bei „amour“ und das damit verbundene Kadenzie-
ren zum „a“ (und danach „d“) mittels einer „clausula in mi“ im Baß (b-a)
sowie das 5 Takte später erneut erklingende „b“ samt Weiterführung zu
D-Dur-Dreiklängen bei „douce colombelle“ zumindest angedeutete „com-
mixtiones modorum“33 zu sein, Modulationen zum d-Dorischen hin, wo-
für auch die später noch häufigeren (nach der für das Dorische besonders
oft zutreffenden Regel „una nota super la semper est canendum fa“) Er-
niedrigungen des „h“ zum „b“ sprechen. Als sowohl „nachzeichnendes“
wie madrigaleskes Element erwähnenswert ist noch die Darstellung der
„niedlichen“ (mignardise) Geliebten durch kleine Notenwerte, die durch
die folgenden Viertelnoten besonders auffällig sind, und auch die (gegen
Ende des Werkes) synkopische Heraushebung der „douce rebelle“ (Noten-
beispiel 12) durch Synkopen würde in besonderer Weise dem Wortsinn ent-
sprechen. Die davor erklingenden Gegenrhythmen im Tenor bei „Ma gente
tourterelle“ würde ich hingegen nicht als Synkopen sehen, sondern als tän-
zerische (additive) Dreier-Rhythmen: „(Ma gen-te) tour-te- / re[-e]l- / le“.

33 Zur „commixtio tonorum“ siehe Meier, Die Tonarten der klassischen Vokalpolyphonie,
S. 271–278, sowie Meier, Alte Tonarten. Dargestellt an der Instrumentalmusik des 16.
und 17. Jahrhunderts, S. 145–152.

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