Page 161 - Weiss, Jernej, ur. 2017. Glasbene migracije: stičišče evropske glasbene raznolikosti - Musical Migrations: Crossroads of European Musical Diversity. Koper/Ljubljana: Založba Univerze na Primorskem in Festival Ljubljana. Studia musicologica Labacensia, 1
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leipzig und seine musikverleger als attraktion

Selbstverständlich erheben solche Stichproben keinerlei Anspruch auf
Repräsentativität, zumal es sich hier um eine so frühe Zeit handelt, dass
der Umfang überschaubar bleibt. Er vergrößert sich am Ende des 19. Jahr-
hunderts so stark, dass er nur noch elektronisch erfassbar und auswert-
bar bleibt. Allenfalls vermögen die Beispiele einen kleinen Eindruck von
den Möglichkeiten vermitteln, den eine umfangreiche Erhebung eröffnen
könnte. Sie brächte die Musikwissenschaft auf ähnlichen Wegen, wie wir
sie in Projekten „Musica migrans“ schon ansatzweise erprobt haben, zu ei-
ner sicheren, statistisch klaren Darstellung Europas als eines zusammen-
hängenden, zusammengehörigen musikalischen Kulturraums, wie er bis
weit ins 20. Jahrhundert hinein real existiert hat, bevor er durch ein verab-
solutiertes nationales Denken zerstört wurde, eine Geschichte, vergleich-
bar nur dem Turmbau zu Babylon. Wie geradezu explosionsartig sich die
Geschäfte der Musikproduzenten am Ende des 19. Jahrhunderts zu großen
Fabriken entwickelten, lässt sich an den Firmengebäuden ablesen. Die Fir-
ma des Noten­druckers, später auch Verlegers C. G. Röder begann 1846 in
der Reichsstraße und zog dreimal in größere Gebäude um, zuletzt 1873 in
den Gerichtsweg, der etappenweise bis 1896 immer weiter ausgebaut wur-
de. Stolz ist die Entwicklung in einer Festschrift zum 50jährigen Bestehen
der Firma von Hugo Riemann dargestellt worden, die mit ihrer pracht-
vollen Ausstattung das starke Selbstbewusstsein der Firmeninhaber de-
monstriert. Das Frontispiz, in dem das Notendruckerhandwerk direkt der
göttlichen Muse der Musik zugeordnet wird, eine Mischung antiker und
christlicher Emblematik, bringt dies eindrucksvoll zur Geltung. Dazu lie-
ferte Riemann eine gelehrte Abhandlung über die Geschichte von Noten-
schrift und Notendruck.8 Ähnlich aufwendig wurde eine Festschrift zum
75. Firmenjubiläum herausgebracht.9 Die Erweiterung der Firmengebäude
ging übrigens 1898/99 mit einem neuen Anbau des Bauunternehmers Max
Pommer (an der Perthesstraße 3) weiter, dabei handelt es sich um den älte-
sten mehrgeschossigen Stahlbetonbau Deutschlands, möglicherweise Eu-
ropas.

Explosionsartig entwickelten sich auch die Auflagenhöhen der Musi-
kalien in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Bereits in meiner Dis-

8 Hugo Riemann, Festschrift zur 50jährigen Jubelfeier des Bestehens der Firma C. G.
Röder. Leipzig 1846–1896. Notenschrift und Notendruck. (Leipzig: C. G. Röder,
1896).

9 Walter von Zur Westen, Musiktitel aus vier Jahrhunderten. Festschrift anlässlich des
75jährigen Bestehens der Firma C. G. Röder G.M.B.H. (Leipzig [1846-1921], Leipzig:
C. G. Röder, [1921]).

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