Page 37 - Weiss, Jernej, ur. 2017. Glasbene migracije: stičišče evropske glasbene raznolikosti - Musical Migrations: Crossroads of European Musical Diversity. Koper/Ljubljana: Založba Univerze na Primorskem in Festival Ljubljana. Studia musicologica Labacensia, 1
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die stilistische vielfalt von orlando di lassos weltlichem schaffen ...

Lassos Dienstpflichten in München waren: jeden Morgen für ein
Hochamt zu sorgen, die Tafelmusik zu organisieren (und möglichst selbst
zu leiten) sowie besondere Festlichkeiten würdig musikalisch auszustatten.
Für alle diese Anlässe hatte er in hohem Maß eigene Kompositionen beizu-
steuern. Um die Kapelle mit guten Musikern zu versorgen, mußte Lasso ei-
nige Male nach Italien reisen und solche verpflichten, wodurch er auch re-
gelmäßig mit den modernen Neuerscheinungen bekannt wurde und viele
Stilelemente in seine eigenen Werke aufnahm.

1555 erschien in Antwerpen Tilman Susatos Sammlung „Primo li-
bro, dove si contengono Madrigali, Villanesche, canzoni francese e Mo-
tetti“, in der sich sechs Villaneschen unseres Komponisten befinden, die
neben neapolitanischen Dialektwörtern auch typische musikalische Ele-
mente „volkstümlichen“, um nicht zu sagen derben Charakters aufweisen.
Und Ähnliches finden wir in den weiteren Villanellen-Sammlungen un-
seres Meisters, insbesondere aber in den Moreschen der 1581 in Paris er-
schienenen Sammlung „Libro de villanelle, moresche, et altre canzoni“, in
deren Widmung an Albrecht V. zu lesen ist, daß die Werke „in mia giu-
ventù“1 entstanden seien – ihrem Stil zufolge wohl ebenfalls in Neapel. Ver-
binden sie doch gleichsam „maurische“ bzw. afrikanische Elemente in par-
odistischer, oft nonsense-artiger Weise mit betont einfacher, „villanesker“,
also dörflicher Textur. Blicken wir zunächst in die 1560 in einer Samm-
lung in Venedig erschienene Morescha „O Lucia, miau, miau“2 (Notenbei-
spiel 1), in der Lucia von einem sie Anschwärmenden gebeten wird, sich
über ihn nicht lustig zu machen und stattdessen seinem Erzeugnis (wohl
einer Serenade) zuzuhören. Sie aber beschimpft ihn als häßlichen Trottel,
der die Töpfe lecken soll, ja, sie tituliert ihn sogar als Arsch voll Scheiße.
Und sie frägt, wer denn der geschissene Bauerntölpel sei, der sie wie eine
Katze an-miaut. Er gibt sich nun als Giorgio zu erkennen, der sie liebe und
ganz bei ihr sein möchte. Und er bittet sie, wobei er sie liebevoll als „mein
Ärschlein“ (cula mia) tituliert, ihre Schrullen (bizzaria) aufzugeben. Sei sie
denn eine Statue aus Stein ? – und: der andere, mit dem sie sich treffe, wäre
nicht gut für sie.

1 Hiezu (S. 40) sowie allgemein zu Lassos frühen Villaneschen, die z. T. auf Vorlagen
von der Hand anderer Komponisten basieren, siehe Wolfgang Boetticher, Orlando di
Lasso und seine Zeit 1532–1594, Band I. (Neuausgabe [...], Wilhelmshaven: Noetzel,
1999), S. 40–70.

2 Orlando di Lasso, Sämtliche Werke, Madrigale, Zehnter Band, hrsg. von Adolf Sand-
berger, Fünfter Theil (Leipzig o. J.: Breitkopf und Härtel, 1898), S. 70–72 (Nr. III.7.).

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