Page 379 - Weiss, Jernej, ur. 2017. Glasbene migracije: stičišče evropske glasbene raznolikosti - Musical Migrations: Crossroads of European Musical Diversity. Koper/Ljubljana: Založba Univerze na Primorskem in Festival Ljubljana. Studia musicologica Labacensia, 1
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egon wellesz in wien und oxford: stationen eines lebens

spiel bringt als Vorbereitung in seinem melodischen Verlauf die Grund-
gestalt, der Begleitakkord zusätzlich einen Ausschnitt mit den Tönen 3-5.
Diese Intervallkonstruktion erklingt rhythmisiert in den Takten 10f. In der
Begleitung wird die Reihe immer freier verwendet und meist auf wenige
Ausschnitte reduziert. So ist bereits der am Schluß von Takt 3 einsetzende
Krebs nicht mehr vollständig (es fehlen die Reihentöne 2 und 6: c und es),
und es kommt in der zweiten Hälfte zu Unregelmäßigkeiten in der Abfol-
ge. So ist zwar im ganzen Lied die Reihe gegenwärtig, ihre Behandlung aber
recht frei. Lediglich im Gesang der 4. Strophe erklingt sie, zwar mit Ton-
wiederholungen, noch einmal in ihrer Grundgestalt. Das Lied steht über-
wiegend im 3/4-Takt. Das Dreiermetrum dominiert auch in in den anderen
Nummern des Zyklus. Zahlreiche Walzergesten mit ihren charakteristi-
schen Betonungen und Punktierungen, Aufschwüngen und Abschwüngen
erinnern an das populäre Wienerlied. Erst am Beginn der dritten Strophe
steht der erste 2/4-Takt, der in der Folge immer wieder das Grundmetrum
unterbricht, vor allem um dramatische Wirkungen zu erzielen.

Typische Gitarrenfloskeln werden verwendet. Der Einfluß dieses In-
struments prägt den Klavierpart im ganzen Zyklus. zeigt sich in unse-
rem Lied auch in den überwiegend einstimmigen, nur unisonoverstärkten
Strukturen und den nur wenigen Akkorden. Das Schlußlied wos unguaz
hat für die Arpeggienbegleitung des Vorspiels sogar die Anweisung „(wie
eine Gitarre)“. Wellesz hat die Lieder gleichzeitig auch mit Gitarrenbeglei-
tung bearbeitet und bat Herbert Vogg am 5. November 1967 „die Begleitung
Prof. Karl Scheit vorzulegen“43, einem bekannten Gitarristen und Pädago-
gen, Professor an der späteren Universität für Musik in Wien. Wellesz hat
diese aber nicht verlegen lassen. Sie wurden nach seinem Tod von Leo Wi-
toszynskyj aufgrund der Autographe und Skizzen revidiert und eingerich-
tet und als op. 82a veröffentlicht. 44 Er schreibt im Vorwort:

„Naturgemäß hat Wellesz den Begleitpart der Gitarre sparsamer ge-
halten, behandelt aber auch die Gesangsstimme unterschiedlich zur Kla-
vierfassung. Wie sensibel er auf die individuellen Ausdrucksmittel der Be-
gleitinstrumente eingegangen ist, lassem die voneinander abweichenden
Tempoangaben, dynamischen Bezeichnungen und Artikulation erkennen.“
(siehe Abbildung 3). Die Uraufführung dieser Einrichtung fand am 21. 6. 1985
in Graz statt (Gitarre: Leo Witoszynskyj, Bariton: Peter Thunhart).

43 Ebenda, S. 90
44 Egon Wellesz, Lieder aus Wien zu Gedichten von H.C. Artmanns „Med ana

schwoazzn Dintn“ op. 82a für Bariton und Gitarre. Revidiert und eingerichtet von
Leo Witoszynskyj (Wien-München: Verlag Doblinger, 1999).

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