Page 375 - Weiss, Jernej, ur. 2017. Glasbene migracije: stičišče evropske glasbene raznolikosti - Musical Migrations: Crossroads of European Musical Diversity. Koper/Ljubljana: Založba Univerze na Primorskem in Festival Ljubljana. Studia musicologica Labacensia, 1
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egon wellesz in wien und oxford: stationen eines lebens

gib liawa
dei frogarei auf
sunzt dales e s aum end
no wiaklech…

Der Übertragung ins Hochdeutsche gab der Verlag folgenden Hinweis
mit:

„H. C. Artmanns Gedichte in der Wiener Mundart sind – ihrem in-
nersten Wesen nach – unübersetzbar, die nachfolgende Übertragung in die
Schriftsprache erhebt keinerlei künstlerischen Anspruch und ist lediglich
als Hilfe für Nicht-Wiener gedacht. Sie wird hier mit der freundlichen und
verständnisvollen Einwilligung H. C. Artmanns abgedruckt.“

Frag mich nicht, was für eine Nummer der Tod hat. Ich weiß nur, daß
er eine grüne Kappe aufhat und zwei Augen wie eine Kröte. Augen wie
eine Kröte und eine grüne Kappe und eine Nummer. Die Nummer ist aber
schon so schwarz, daß ich sie nicht lesen kann, wenn ich auch wollte! Gib
lieber dein Fragen auf, sonst lese ich sie am Ende noch wirklich.

Das Gedicht frog me ned entwirft ein dunkles, beängstigendes Szena-
rio. Welche Nummer hat der Tod? Ist es deine? Man hat Angst und will
die Antwort nicht wirklich wissen. Als einziges Satzzeichen hat Artmann
am Ende der 4. Strophe ein Ausrufungszeichen gesetzt. Es ist eine War-
nung. Viele Menschen glauben an eine persönliche Schicksalszahl. Gerade
in Wien war der Glaube daran verbreitet, so auch im Umkreis von Wellesz.
Bei Schönberg war es die Zahl 13 (er ist an einem 13. September geboren und
an einem 13. Juli gestorben), bei Alban Berg die Zahl 23. Als er im Sterben
lag, hat man Berg bei der bereits abgelaufenen Uhrzeit 23 belogen, so daß er
glaubte, dem Tod noch einmal entronnen zu sein.

Für die englische Erstaufführung der Lieder am 14. Juli 1964 in der
Londoner Wigmore Hall hatte Fairhurst im Programm den Text „mit ei-
nem englischen Cockney-Text gedruckt, sehr geschickt, so dass das Publi-
kum wusste um was es geht. Ich habe den Text in ein Exemplar mit Tinte
eingetragen.“37 (siehe Abbildung 2).

37 Herbert Vogg, Hg., Am Beispiel Egon Wellesz. Sein Briefwechsel mit Doblinger als
Zeugnis der Partnerschaft zwischen Komponist und Verlag (Wien: Doblinger, 1996),
S. 15.

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