Page 448 - Weiss, Jernej, ur. 2017. Glasbene migracije: stičišče evropske glasbene raznolikosti - Musical Migrations: Crossroads of European Musical Diversity. Koper/Ljubljana: Založba Univerze na Primorskem in Festival Ljubljana. Studia musicologica Labacensia, 1
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glasbene migracije: stičišče evropske glasbene raznolikosti

teten ihn Musiker, nicht nur solche aus seiner eigenen Hofhaltung, son-
dern vor allem solche des Mannheimer Hofs. In Paris entfaltete er eine
weit reichende Protektion der ihn umgebenden musikalischen Talente: Sie
wohnten in seinem Hôtel und erhielten Kost und Logis, ihre Auftritte in
den Concerts spirituels wurden durch claque-ähnliche Konzertbesucher
des Hofes unterstützt, die Druckkosten ihrer in Paris publizierten Werke
wurden durch den Herzog finanziert. Die sich hier abzeichnende Strate-
gie, „ausländische“ Musiker in der französischen Hauptstadt zu protegie-
ren und reüssieren zu lassen, wird auch in der Akquisitionspolitik von No-
tenmaterial manifest. Christian IV. kaufte vor allem Musik von deutschen
Exilkomponisten und nur wenig von französischen Komponisten an. Ein
Musiker, der stark von Christians IV. Protektion profitierte, war François-
André Danican Philidor. Diese Patronage-Beziehung zeigt jedoch noch
eine andere musikalische Strategie des Herzogs auf: Sie katapultiert ihn ins
Zentrum der musiktheatralen Reformbestrebungen, die in den sechziger
Jahren von den Enzyklopädisten propagiert wurden. Sowohl Tom Jones als
auch die bahnbrechende Ernelinde sind dem Herzog und seiner morgana-
tischen Ehefrau Marianne, Gräfin von Forbach (ehemals die Tänzerin Ma-
rianne Camasse) gewidmet, wobei dem Herzog eine Initiatorrolle in den
Umarbeitungen zukam, die Philidor nach den Uraufführungen vornahm.
Diese Umarbeitungen sind vor allem musikalischer Art und wurden durch
die Beschaffung von Opernpartituren aus Mannheim, die auf Befehl des
Herzogs erfolgte, maßgeblich beeinflusst. Christian übernahm somit eine
wichtige Rolle in der musikalischen Reform der französischen Oper, wäh-
rend die Enzyklopädisten, allen voran Diderot, die literarisch-dramaturgi-
sche Reform vorantrieben. Es ist fast überflüssig zu sagen, dass Christian
und die Gräfin von Forbach mit allen wichtigen Enzyklopädisten verkehr-
ten. In diesem Kontext ist es außerdem nur konsequent, dass der Herzog
1773 Christoph Willibald Gluck einlud, während der Produktion seiner Pa-
riser Reformopern Iphigénie en Aulide und Orphée et Euridice in seinem
Hôtel zu wohnen.
Schlüsselwörter: Deutschland, Frankreich, Kulturtransfer, Opernreform

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