Page 59 - Weiss, Jernej, ur. 2020. Konservatoriji: profesionalizacija in specializacija glasbenega dela ▪︎ The conservatories: professionalisation and specialisation of musical activity. Koper/Ljubljana: Založba Univerze na Primorskem in Festival Ljubljana. Studia musicologica Labacensia, 4
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alte und neue musik in praxis und lehre an der universität in freiburg im breisgau

nach Darmstadt übersiedelte und war 1956 bis 1960 dessen Vorsitzender.
Er gehört zu den Gründungsdirektoren der Staatlichen Musikhochschule
und war bis 1965 Professor.8 Sein Spezialgebiet war die zeitgenössische Mo-
derne. Für die von ihm vertretenen Ansichten ist der kommentierte Brief-
wechsel mit Theodor W. Adorno aufschlußreich.9

Der Schweizer Heinz Holliger (1939) ist als Oboist, Komponist10 und
Dirigent weltweit bekannt. Als Oboist entwickelte er in Zusammenar-
beit mit Komponisten neue Spieltechniken, erhielt Widmungen bekannter
Komponisten und spielte zahlreiche Uraufführungen. Er hatte einen wich-
tigen Anteil bei der Wiederentdeckung der Musik von Jan Dismas Zelen-
ka (1679–1745) durch die Einspielung der 6 Triosonaten für die DGG Ar-
chivproduktion im Jahr 1972, die er in den Archiven entdeckt hatte, ebenso
bei der Aufnahme von dessen Orchesterwerken. An der Freiburger Musik-
hochschule wirkte er als Professor für Oboe.

Das Freiburger Beispiel zeigt das übergreifende Zusammenwirken von
Theorie und Praxis zwischen Universität und Musikhochschule und auch
anderen Instituten. Diese erfolgreichen Ansätze sollten Standard sein und
ausgebaut werden. Die universitäre Musikwissenschaft darf sich nicht aus-
schließlich auf die theoretische Forschung und Lehre beschränken, son-
dern in einem vertretbaren Maß auch die Praxis einbeziehen. Z.B. was das
Mittelalter betrifft: den Studierenden den Choral und die darauf aufbau-
ende Mehrstimmigkeit durch das Singen, und zwar nach Originalen und
nicht nach Übertragungen, klanglich näher bringen und dadurch die ver-
schiedenen Notationen und ihren Einfluß auf die Kompositionsart vermit-
teln. Oder, was die Neue Musik betrifft: die Schwierigkeiten und Proble-
me einer Verwirklichung des Notenbildes (Zwölfton-Partituren, Aleatorik,
graphische Notation usw.) praktisch erleben lassen. Die Musikhochschu-
len bzw. Konservatorien auf der anderen Seite sollten bei ihrer Ausbildung
nicht alleine die virtuose Seite im Blick haben, sondern auch die histori-

8 Lars Ulrich Abraham, Hrsg., Erich Doflein. Festschrift zum 70. Geburtstag (Mainz:
Schott, 1972).

9 Andreas Jacob, Hrsg., Theodor W. Adorno – Erich Doflein. Briefwechsel. Mit ei-
nem Rundfunkgespräch und 3 Aufsätzen Erich Dofleins (Folkwangstudien 2) (Hil-
desheim: Olms, 2006); siehe hier auch die Einleitung von Andreas Jacob, „Der Brie-
fwechsel Adorno-Doflein. Zwei Perspektiven auf das westdeutsche Musikleben der
Nachkriegszeit“.

10 Peter Andraschke, „Dichtung in Musik. Stockhausen, Trakl, Holliger“, in Stimme
und Wort in der Musik des 20. Jahrhunderts (=Wiener Schriften zur Stilkunde und
Aufführungspraxis), Bd. 1 (der Sonderreihe Symposien zu WIEN MODERN), hrsg.
von Hartmut Krones (Wien/Köln/Weimar: Böhlau, 2001), 341–55.

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