Page 138 - Weiss, Jernej, ur. 2017. Glasbene migracije: stičišče evropske glasbene raznolikosti - Musical Migrations: Crossroads of European Musical Diversity. Koper/Ljubljana: Založba Univerze na Primorskem in Festival Ljubljana. Studia musicologica Labacensia, 1
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glasbene migracije: stičišče evropske glasbene raznolikosti

„Gluckschen“ Opern Jommellis („Phaeton“, „La clemenza di Tito“), die refor-
matorischen dramatischen Ballette von Noverre („Rinaldo und Armida“,
„Admethos und Alkestis“, „Jason und Medeia“), die auf dem halbem Weg
zwischen Lexik der Sonaten von Tartini und Mozart liegende Sonaten und
Konzerte von Nardini. All diese Werke entstanden in Stuttgart und wurden
dort auch uraufgeführt. Augenscheinlich nahm Lolli unmittelbar an ihrer
Interpretation teil, mit Noverre war er sogar verwandt (N. Sauveur war die
Schwägerin des Ballettmeisters). Die aufklärerischen Tendenzen der vorre-
volutionären Epoche, die sich so deutlich im Musikleben der Württember-
gischen Hauptstadt zeigten, mussten auf Lolli einen direkten Einfluss ha-
ben, da er mehrfach die Möglichkeit hatte, auch in anderen europäischen
Zentren aufzutreten: in Wien, Paris und Milano.

Die ersten uns bekannten Konzertauftritte sind auf das Jahr 1763 da-
tiert. Nachdem er scheinbar auf Gesuch von Martini und Jommelli einen
einjährigen Urlaub zur Vervollkommnung der Kompositionen bei Marti-
ni erhielt, fuhr er statt nach Bologna zu Konzerten in die österreichische
Hauptstadt, wo er großes Aufsehen erregte. Einmal die Freuden des Er-
folges entdeckend, kehrte Antonio nicht zu Martini zurück, sondern tourte
weiter durch Europa. Wichtig waren für ihn die Konzerte von April – Juni
1764 in Paris, die mit begeisterten Kritiken des Publikums und der Pres-
se gefeiert wurden. Nach Aussage Lollis „verdiente er innerhalb von 4 Wo-
chen mehr als 1000 Louisdor“.6 Nach einheitlicher Meinung der Zeitgenos-
sen machte innerhalb von 20 Jahren, bis zur Ankunft von Giovanni Battista
Viotti 1782 in Paris, keiner der Geiger in der französischen Hauptstadt so
von sich reden wie Lolli. Der Pariser Erfolg öffnete dem Virtuosen die Tü-
ren der besten Säle der Alten Welt und festigte seine Position in Stuttgart.

6 AMZ, 1799, № 39, Spalte/Reihe 612. Es stimmt, dass der unverbesserliche Spieler
Lolli das gesamte erarbeitete Geld am Kartentisch „durchbrachte“ und um zum
Hofkonzert nach Wien abreisen zu können, musste er für 1500 Lire einen Ring,
den ihm eine französische Prinzessin geschenkt hatte, verkaufen. Auf den einzigen
Auftritt in der österreichischen Hauptstadt musste er einige Monate warten. Deshalb
kehrte Antonio mit 2000 Gulden Schulden nach Stuttgart zurück. Man kann
sagen, dass solche Abenteuer unseren Helden sein ganzes Leben lang begleiteten:
so beschimpfte Lolli, der während seines Aufenthaltes in Venedig in der Suite von
Herzog Karl Eugen wieder einmal alles verspielte in einem Café im Affekt seinen
Fürsten und gleich auch noch den Venezianer Hochadel öffentlich. Dafür kam er
unverzüglich in die Keller der Inquisition. Es rettete den Geiger die Einmischung
des Herzoges Karl, der die Venezianer Herrscher davon überzeugen konnte, dass
man Lolli in Stuttgart richten müsse. Lolli wurde aus Venedig ausgewiesen und
natürlich verzieh ihm der gutmütige Herzog, der an dem geliebten Musiker einen
Narren gefressen hatte.

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