Page 136 - Weiss, Jernej, ur. 2017. Glasbene migracije: stičišče evropske glasbene raznolikosti - Musical Migrations: Crossroads of European Musical Diversity. Koper/Ljubljana: Založba Univerze na Primorskem in Festival Ljubljana. Studia musicologica Labacensia, 1
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glasbene migracije: stičišče evropske glasbene raznolikosti

er seine Wahrnehmung Russlands in seinem eigenen Schaffen wiederzu-
geben, was erfolgreich war, als es der Autor präsentierte, aber nach seinem
Tod dauerhaft in Vergessenheit geriet.

Dieser Text ist ein Versuch, den „Italienern in Russland“ gerecht zu
werden und diese hervorragenden Künstler und Schöpfer wieder in unser
historisches Gedächtnis zu rufen.

Antonio Lolli erschien 1774 in Petersburg. Er war schon mehr als 40
Jahre alt.1 Hinter ihm lag durchaus schwieriger Lebensweg. Aus einer Fa-
milie stammend, die Italien seinerzeit eine Reihe berühmter Künstler auf
verschiedenen Gebieten der Musik- und Theaterkunst hervorbrachte, er-
hielt Lolli in seiner Jugend eine ausgezeichnete professionelle Ausbildung.
Auch wenn wir bis heute noch nicht wissen, wer ihn im Geigenspiel un-
terrichtete, ist es durchaus möglich, dass es der berühmte Guiseppe Tarti-
ni war, der in Padua lebte, in der Nähe von Bergamo – der Heimat Lollis.
Demzufolge verbrachte Antonio seine Jugend fast ausschließlich in Nor-
ditalien.2 Was sein Komponistenschaffen betrifft, so hatte sich Lolli zum
Ende der 1750er Jahre eine gewisse Autorität erarbeitet. Ansonsten hätte so
ein angesehener Pädagoge und Komponist wie Padre Giambattista Marti-
ni sicher mit ihm keinen Briefwechsel begonnen. Martini gab seinem Kor-
respondenten und Fernschüler eine Empfehlung, dank derer er in die Ka-
pelle von Karl Eugen Herzog von Württemberg in Stuttgart aufgenommen
wurde. Hier verbrachte er ca. 15 Jahre und erhielt unter der Leitung des be-
rühmten Niccolo Jommelli eine hervorragende Solo- und Orchesterpraxis,
was auch kein Wunder war, denn sein Kollege am Nachbarpult war Pietro
Nardini, der zu den hervorragendsten europäischen Geigern gehörte.

1 Verschiedene Quellen führen unterschiedliche Geburtsdaten von A. Lolli an.
Bis vor kurzem wurde ohne Angabe von Tag und Monat ca. 1730 angegeben. In
Veröffentlichungen Ende des XX. Jahrhunderts wird das Jahr 1725 genannt. Im
Prinzip sind beide Daten möglich, nun muss man nur noch in der Heimat Lollis in
Bergamo Kirchenunterlagen finden, die den „Punkt auf´s i setzen“. Es gibt aber auch
einen anderen Standpunkt: der Autor eines umfangreichen Artikels über Lolli in
der Leipziger Allgemeinen Musikalischen Zeitung (Leipzig: Breitkopf & Härtel, 1799),
№ 37, 39, 42, schreibt darüber, dass, „als ich bei ihm studierte (1772), war er ca. 30–
32 Jahre“ (Allgemeine Musikalische Zeitung (weiter – AMZ) (Leipzig: Breitkopf &
Härtel, 1799), № 39, Spalte/Reihe 609). Allerdings ist eine solche „Verjüngung“ kaum
wahrscheinlich, denn sie stimmt weder mit den gängigen Vorstellungen über das
Geburtsdatum des Geigers, noch mit den Fakten seiner schöpferischen Biographie
überein.

2 H. Riemann merkte an, dass Lolli „nach langen Reisen“ in Stuttgart ankam (s. Hugo
Riemann, Musiklexikon, Ausgabe 7 (Leipzig: M. Hesse, 1909), S. 841), aber konkrete
Angaben in dieser Hinsicht wurden bisher nicht entdeckt.

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