Page 140 - Weiss, Jernej, ur. 2017. Glasbene migracije: stičišče evropske glasbene raznolikosti - Musical Migrations: Crossroads of European Musical Diversity. Koper/Ljubljana: Založba Univerze na Primorskem in Festival Ljubljana. Studia musicologica Labacensia, 1
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glasbene migracije: stičišče evropske glasbene raznolikosti

ose erwies sich als notorischer Kartenspieler, der 6000 Florin Schulden hat-
te, die er nicht zurückzahlen konnte. So musste er a) vor den Kredithaien
fliehen, b) einen Platz suchen, wo man schnell viel Geld verdienen konnte,
um die Schulden zu begleichen und die als „lebendigen Pfand“ zurückge-
lassene Ehefrau auslösen.10

Einen besseren Platz als Petersburg konnte sich unter den gegebenen
Umständen nicht vorstellen. Von dem russischen „Schlaraffenland“ er-
zählte man sich in Europa Legenden. Ausländische Vokal- und Geigen-
virtuosen, in erster Linie Italiener, kamen von dort beladen mit Gold und
Edelsteinen zurück, die manchen bis zum Lebensende reichten.

In die nördliche Hauptstadt gelangte Lolli nicht sofort. Ca. 2 Jahre ver-
brachte er verschiedenen deutschen Ländereien, wo er in Hamburg, Lü-
beck und Stettin begeistert empfangen wurde. „Ein schmachtender Triller,
von ihm gespielt, stehen für 100 Konzerte, die von anderen nichtssagenden
Virtuosen gespielt wurden“, - schrieben begeisterte Kritiker.11 Seine Gast-
spiele führten ihn in das schlesische Johannesburg, wo die Zollkapelle von
dem berühmten Komponisten und Orgelspieler Karl von Dittersdorf ge-
leitet wurde. Aus der gegenseitigen Sympathie, die zwischen den beiden
Musikern entstand, wuchs eine Freundschaft, von der einige erhalten ge-
bliebene Briefe zeugen. Der wohlwollend gesinnte, aber meist sparsam mit
Lob umgehende Dittersdorf bezeichnete Lolli „als einen charmanten, kul-
tivierten und sehr interessanten Menschen“12.

Ein farbenfrohes Portrait von Lolli auf dem Höhepunkt seines Ruhmes
zeichnet ein Zeitgenosse: „Lolli war ein gut gebauter Mann mittlerer Größe
mit angenehmen Äußeren/…/. Seine glänzenden schwarzen Augen verrie-
ten vom ersten Augenblick an einen Menschen, der weit über das Gewöhn-
liche hinausgeht. – Im Umgang war er freundlich, einfach und bescheiden,
im Verhalten vereinigte er die italienische Lebhaftigkeit mit der inneren
Ruhe, was ihn zum Mittelpunkt der Gesellschaft machte“13. Lollis haupt-
sächlicher Charakterzug ist die Großzügigkeit der Seele. Es ist erstaunlich,

10 Die Finanzangelegenheiten regelte Frau Lolli. „Ohne sie, - schreibt der Autor des
Artikels in der „AMZ“, - wäre Lolli, ungeachtet seines Talentes, ein Bettler (er selbst
hat sich mir gegenüber dazu bekannt), denn sie legte jährlich eine ansehnliche
Summe in der Venezianischen Bank an, damit ihr die Hälfte seines Gehaltes, das
genauso wie ihr eigenes 4000 Gulden betrug, zur Verfügung stand, wenn Lolli auf
Tournee war“ (AMZ, 1799, № 39, Spalte/Reihe 611). Aber im gegebenen Fall schienen
die von der sparsamen Gattin gesparten Mittel nicht auszureichen.

11 Ebenda.
12 Ebenda.
13 AMZ, 1799, № 39, Spalte/Reihe 609.

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