Page 139 - Weiss, Jernej, ur. 2017. Glasbene migracije: stičišče evropske glasbene raznolikosti - Musical Migrations: Crossroads of European Musical Diversity. Koper/Ljubljana: Založba Univerze na Primorskem in Festival Ljubljana. Studia musicologica Labacensia, 1
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antonio lolli – auf der route bergamo–stuttgart –sankt-petersburg–neapel

1771 traf Lolli während einer weiteren Tournee den 15-jährigen Mozart,
der mit seinem Vater auf dem Weg zu einer Gastspielreise nach Italien un-
terwegs war.7 Die Unterhaltung mit dem jungen Genie hinterließ sowohl
bei Antonio als auch bei Wolfgang Spuren: denn der Name Lolli als allerer-
ster Virtuose erschallte damals in Europa. Schon im Januar 1770 bezeich-
nete Mozart Lolli in einem Brief an seine Schwester aus Verona als „großen
Geiger“8. Diesen Standpunkt änderte er auch später augenscheinlich nicht.

In Stuttgart verlief bei Lolli alles ausgezeichnet, als er im März 1772
unerwartet beim Herzog einen 3- monatigen Urlaub nimmt, seine schwan-
gere Frau zurücklässt, die württembergische Hauptstadt verlässt, um nicht
mehr dorthin zurückzukehren.

Was war nur der Grund für die Flucht nach vielen Jahren des verhält-
nismäßigen Wohlstandes? Mooser vermutete, dass, seiner Meinung nach,
Lolli der Ansicht war, „dass Seelengüte und Geruhsamkeit nicht mit der
Karriere eines Virtuosen vereinbar seien“9, ihn erfasste endgültig die unü-
berwindbare „Jagd nach einer Ortsveränderung“. Ich gestatte mir, mit dem
Schweizer Maestro nicht ganz einer Meinung zu sein. Über 40 ist nicht ge-
rade ein jugendliches Alter, um mal so eben über den gesamten Kontinent
zu flüchten. Logischer wäre das 20–25 Jahre früher zu tun, als bartloser
Jüngling und nicht als in ganz Europa berühmter Künstler.

Als Gründe für dieses Verhalten Lollis kann man zwei annehmen. Ei-
ner – ein rein schöpferischer, der mit dem allgemeinen Niveauabfalls des
Musiklebens in Stuttgart nach der Abreise von Nardini, Noverre und Jom-
melli zusammenhängt. Ein anderer – ein durchaus irdischer: unser Virtu-

7 Wir merken an, dass zu jener Zeit Guiseppe Francesco Maria Lolli Kapellmeister
in Salzburg war, der 15 Jahre seines Lebens in dieser Stadt (1763–1778) gemeinsam
mit Leopold Mozart arbeitete, welcher zum Vizekapellmeister ernannt wurde, als
er zeitgleich mit G. Lolli ankam. Zweifellos stammen G. Lolli und A. Lolli aus einer
Familie. Es wäre interessant herauszufinden, in welchem Verwandtschaftsgrad sie
zueinander stehen in Bezug auf das Verhältnis zu Vater und Sohn Mozart. Denn
die Annahme ist nicht übertrieben, dass A. Lolli sich vorgestellt hat und so herzlich
bei der reisenden Familie Mozart aufgenommen wurde, da er ein Verwandter des
Salzburger Kollegen war. Außerdem konnten die Mozarts Antonio schon früher
kennenlernen, während eines Aufenthaltes im Juli 1763 in Stuttgart, als sie sich in
der Residenz des Herzoges Karl Eugen in Ludwigsburg sowohl mit Jommelli als auch
mit Nardini unterhielten. W. Mozart kannte schon Brigida Anelli-Lolli, und ein
anderer Vertreter der Familie Lolli – Guiseppe wurde der erste Interpret der Partien
Masetto und Il Commendatore in der Oper „Don Juan“.

8 Mozart, Briefe und Aufzeichnungen, Band 1 (Kassel: Bärenreiter, 1962), S. 301.
9 R. - A. Mooser, „Violinistes – compositeurs italiens en Russie au XVIII siecle“, Rivista

musicale italiano, 2 (1949): 7. Übersetzung von Liudmila Gurevich.

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