Page 141 - Weiss, Jernej, ur. 2017. Glasbene migracije: stičišče evropske glasbene raznolikosti - Musical Migrations: Crossroads of European Musical Diversity. Koper/Ljubljana: Založba Univerze na Primorskem in Festival Ljubljana. Studia musicologica Labacensia, 1
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antonio lolli – auf der route bergamo–stuttgart –sankt-petersburg–neapel

dass er sich seinen Geigenkollegen gegenüber warm und freundschaftlich
verhielt und jedem Rivalen die Ehre erwies, da er in einer Atmosphäre der
ständigen harten Konkurrenz auswuchs und lebte. Keine Vorwürfe, son-
dern Lob oder Schweigen – das war in diesem Fall die Einstellung Lollis.
Eine Einstellung, die deutlich und edel ist. Zu Kritik seiner Person verhielt
sich Lolli mit stolzer Gleichgültigkeit, auch wenn sie gerechtfertigt war. Er
ignorierte sie einfach.

Vermutlich die wichtigsten Schulden begleichend, erschien der
Maestro im Sommer 1774 (scheinbar in Juli, da er am 29. Juni des gleichen
Jahres offiziell in Stuttgart entlassen wurde) in Petersburg und wurde ohne
Zögern als Hofkapellmeister mit einem Gehalt von 3300 Rubeln, das später
auf 4000 erhöht wurde, eingestellt (worüber Lolli nicht ohne Stolz Ditters-
dorf informierte). „Die ausgezeichnete Interpretationsmeisterschaft bezau-
berte die Petersburger Musikliebhaber. Er war würdig, auf geschlossenen
Konzerten in den Räumen der Zarin zu spielen und genoss außerdem die
wohlwollende Aufmerksamkeit des Fürsten Potemkin, was dem Virtuosen
nicht nur ein reiches Leben ermöglichte, sondern, wie wir heute sagen wür-
den, ein hohes Niveau der sozialen Absicherung“.

Während sich Lolli in der Gunst Potemkins befand, vernachlässigte
er seine höfischen Pflichten. Im Dezember 1775 erhielt er für eine Konzer-
treise nach Warschau Urlaub. Nach seiner Rückkehr gab er 4 öffentliche
Konzerte mit Programmen aus eigenen Werken (30. Januar, 1., 3., 17. März
1776). Er legte den maximalen Preis von 3 Rubeln fest, was gute Einnahmen
ermöglichte. Auf Einladung Potemkins nimmt Lolli an einem grandiosen
Abend am Fürstenhof zu Ehren von Prinz Heinrich von Preußen teil, was
ihn als besten Geiger Russlands bestätigte und ihm materielle Dividenden
einbrachte. Obwohl vom Hof verwöhnt, verstand Antonio sehr gut, wem er
solch einen extraordinären Erfolg verdankte: die zur gleichen Zeit in Ber-
lin von Gummel veröffentlichten 5 Geigensonaten und das Divertimento
für Geige und Basso Continuo op.3 waren nicht, wie man erwarten könnte,
dem „Hauptarbeitgeber“ des Geigers – Katharina gewidmet, sondern Po-
temkin. Übrigens dauerte es nicht lange, und es erschien ein Werk zu Eh-
ren der Zarin: das Jahr 1777 wurde in der Partitur des Katharina gewidme-
ten Konzertes für Geige mit Orchester in C-Dur vermerkt. Das überreichte
Manuskript dieses Opus´ in einem prächtigen orangen Atlaseinband mit
goldenen Prägungen befindet sich in der Handschriftenabteilung der Rus-
sischen Nationalbibliothek (F. Franz. F 11, Nr. 81).

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