Page 145 - Weiss, Jernej, ur. 2017. Glasbene migracije: stičišče evropske glasbene raznolikosti - Musical Migrations: Crossroads of European Musical Diversity. Koper/Ljubljana: Založba Univerze na Primorskem in Festival Ljubljana. Studia musicologica Labacensia, 1
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antonio lolli – auf der route bergamo–stuttgart –sankt-petersburg–neapel

Die gegenseitigen Sympathien die zwischen Lolli und Angiolini und
besonders zwischen Lolli und Paisiello herrschten, unterliegen keinem
Zweifel. Und nicht nur, weil sie Landsleute waren. Lebhafte, ausgezeich-
nete Künstler, mit einem explosiven künstlerischen Temperament, sie be-
nahmen sich auch gleich – indem sie die geschickte Anpassung an die Ge-
pflogenheiten des Petersburger Hofes mit der harten Behauptung ihrer
Unabhängigkeit vereinten. Es ist kein Zufall, dass Paisiello fast die Haupt-
rolle im kritischsten Moment der Petersburger Biographie Lollis spielte, als
Antonio sich entschied, Russland endgültig Lebewohl zu sagen.

Das war im Jahr 1783 – in jenem, als auch Paisiello beabsichtigte, aus
Petersburg nach Neapel zurückzukehren. Die höfischen Verpflichtungen
zu erfüllen, wurde für Lolli völlig unmöglich, er verschwand, wann im-
mer es möglich war, von der Arbeit, in dem er auf seine Gesundheit Be-
zug nahm. Ende Juli bat er um einen siebenmonatigen Urlaub und schrieb
zur Absicherung einen Brief an Katharina persönlich, damit sein Gesuch
in Gang kam. Die Reaktion der Zarin ist unbekannt – man muss anneh-
men, dass sie nicht sehr wohlwollend war, denn auf seiner Sitzung am 7.
August fällte das Komitee für die Leitung des Schauspiels und der Musik
seinen Verdikt: „Lolli darüber zu informieren, dass das Komitee sich nicht
mit dem Antrag beschäftigen kann, den er an Ihre Hoheit der Zarin gestellt
hatte. Da er in dem Brief an die Direktion schreibt, dass er aus Krankheits-
gründen nicht in der Lage sei, seine Pflichten zu erfüllen, und da er schon
einen Urlaub aus dem gleichen Grund mit der Erhaltung des Gehaltes hatte
und nun wieder einen 7-monatigen Urlaub erbittet, so ist das Komitee der
Meinung, von ihm zu fordern, möglichst bald den Dienst zu quittieren“21.

Solch eine Variante passte Antonio überhaupt nicht: entgegen dem
Gesetz wollte der Maestro eine maximale finanzielle Entschädigung für die
Auflösung des Vertrages auf eigenen Willen (!!) erhalten. Einem anderen
hätte man dieses Verhalten nicht „durchgehen lassen“, aber mit dem sich
unter der Obhut Potemkins befindlichen Lolli wollte man sich nicht strei-
ten, und übertrug einem Vermittler die friedliche Klärung der Angelegen-
heit. Wen wählte man aus – Paisiello! Als ob Giovanni seinen skandalösen
Abschied aus Petersburg vorhersah, kümmerte er sich mit Vergnügen um
Antonio. Schon bald darauf erhielt der Vorsitzende des Komitees Senator
A.W. Olsufjew einen Brief von Lolli, in dem er seine Zustimmung zur vor-
zeitigen Auflösung des Vertrages gibt, wenn man ihm folgendes bezahlt:

21 Archiv der Direktion der Kaiserlichen Theater (ADIT) (St. Petersburg: Direktion der
Kaiserlichen Theater, 1892), Ausgabe 2, SS. 143–144.

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