Page 144 - Weiss, Jernej, ur. 2017. Glasbene migracije: stičišče evropske glasbene raznolikosti - Musical Migrations: Crossroads of European Musical Diversity. Koper/Ljubljana: Založba Univerze na Primorskem in Festival Ljubljana. Studia musicologica Labacensia, 1
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glasbene migracije: stičišče evropske glasbene raznolikosti

zes war ein großes Zeichen der Güte und der Gunst der Zarin, da die Sän-
ger des Hofchores zu offenen Konzerten in der Regel nicht zugelassen wa-
ren. Scheinbar ging es hier auch nicht ohne eine Bitte Potemkins. Was die
Programme der zwei Abende angeht (vom dritten sind keine glaubwür-
digen Zeugnisse überliefert), so zeugen sie von besonderen schöpferischen
Beziehungen zwischen Lolli und Paisiello. Die Kombination von Interpre-
tation und Impressariat begeisterte Lolli eine gewisse Zeit. Er nahm aktiv
an verschiedenen Konzerten in Petersburg und Moskau teil (es sind Zeug-
nisse davon erhalten, über die Häufigkeit, über seine Auftritte im Peters-
burger Holztheater in den Jahren 1781 und 1783, wo er in den Pausen zwi-
schen den Opernstücken spielte).

Im Unterschied zu den ersten Jahren seines Aufenthaltes in Petersburg
war Lolli sehr aktiv im pädagogischen Plane. Unter seinen Schülern, von
denen der Großteil für den Maestro nur eine zusätzliche Geldquelle war
(denn seine öffentliche Äußerung konnte man nicht ernst nehmen, dass er
in drei Monaten das Geigenspiel lehren könne), waren durchaus talentierte
Musiker. Mit ihnen arbeitete Lolli ernsthaft, ohne Nachlässigkeiten und
leichtsinnige Avancen. Arbeiten konnte er, wenn er wollte – können konn-
te er hervorragend, wovon das Schicksal seines besten Petersburger Schü-
lers zeugt – dem jungen Christian Hensel, der später ein berühmter Geiger
und Komponist wurde.20

In den Jahren der zweiten Petersburger Periode bildete sich ein Kreis
an Menschen, mit dem Lolli ständig in Kontakt stand. Aus dem oben er-
wähnten Brief an Jacob Staehllin geht hervor, dass der Maestro im Haus der
Familie Tito Portas wohnte – einem italienischen Geiger, ein einheimischer
Alteingesessener (Porta kam schon 1743 nach Russland), der sich mit Lol-
li angefreundet hatte: zur Unterstützung Titos gab Antonio am 27. Mai 1783
ein spezielles Konzert im Rahmen einer Benefizvorstellung von Porta. Un-
geachtet der schrecklichen französischen Sprache Lollis, der oft verschie-
dene Fehler in der Grammatik und Rechtschreibung machte, war klar, dass
er mit Staеhelin „auf gutem Fuße“ stand. Und der kluge Staеhlin, der alles
und jeden kannte, half Antonio, sich in den komplizierten Alltagssituati-
onen der Petersburger Wirklichkeit zurecht zu finden.

20 L. M. Butir schreibt in dem Artikel über Lolli im Wörterbuch Musikalisches Pe-
tersburg. XVIII Jahrhundert (St. Petersburg: Kompozitor-Sankt-Peterburg, 1998),
Band 2, S. 147, dass Hensel in Wien lebte und arbeitete. R. – A. Mooser nahm hin-
gegen an, dass er „eine ausgezeichnete Karriere in Genf machte“ (s. R. – A. Mooser.
„Violinistes – compositeurs italiens en Russie au XVIII siecle“, Rivista musicale ita-
liano, 2 (1949): 13).

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