Page 98 - Vinkler, Jonatan, in Jernej Weiss. ur. 2014. Musica et Artes: ob osemdesetletnici Primoža Kureta. Koper: Založba Univerze na Primorskem.
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musica et artes

Aber auch Hugo Wolf selbst war sich der ,Sprachgezeugtheit‘ vieler seiner
Lieder bewußt, wie nicht zuletzt seiner ,Anweisung‘ an Engelbert Humper-
dinck zu entnehmen ist, der einen Artikel über seine Lieder verfassen soll-
te: »Lass vor allem die Poesie, als die eigentliche Urheberin meiner musikali-
schen Sprache, zu Wort kommen, denn da liegt der Hase im Pfeffer.«2 – Diese
Wolfsche »musikalische Sprache«, die sich in der Vokalmusik vor allem an
der Deklamation der Worte ausrichtete und hier vor allem Richard Wagner
zum Vorbild nahm, war aber oft auch in seiner Instrumentalmusik gleichsam
,sprachgezeugt‘, bei der unser Komponist vor allem Franz Liszt als Leitbild
sah.3 Und gleich hier soll darauf hingewiesen werden, daß Hugo Wolf keines-
wegs ein »genialer Dilettant« war, wie dies immer wieder behauptet wurde,
sondern daß er seine Lieder – nach dem deklamatorischen ,Erstzugang‘ – in
einem hohen Maße rational plante4 und auch die (meist konnotativen, bis-
weilen aber sogar denotativen) Möglichkeiten semantischer Bedeutungsge-
bung bestens kannte. Und hier schöpfte er vor allem aus dem Fundus der mu-
sikalisch-rhetorischen Figuren bzw. aus den diesem Fundus entspringenden
Topoi,5 die er wohl nicht nur in den Werken der Meister aus Barock, Klassik
und Frühromantik kennengelernt hatte, sondern auch in seinem Unterricht
am Konservatorium der Gesellschaft der Musikfreunde, wie wir insbesonde-
re angesichts der Werke der dortigen Kompositionslehrer Robert Fuchs und
Johann Nepomuk Fuchs vermuten müssen.6

2 Brief vom 15. November 1890. Zit. nach Hugo Wolf. Briefe 1873–1901, mit Kommentar vorgelegt
von Leopold Spitzer (Wien: Musikwissenschaftlicher Verlag, 2010), 463.

3 Hiezu siehe Hartmut Krones, “Das Fortwirken symbolhafter Traditionen im frühen Vokalschaf-
fen Franz Liszts“, in Der junge Liszt. Referate des 4. Europäischen Liszt-Symposions Wien 1991, hrsg.
Gottfried Scholz (München–Salzburg: Katzbichler, 1993), 43-57.

4 Siehe Leopold Spitzer, “Ein Blick in die Komponierwerkstatt Hugo Wolfs/Pogled v Wolfovo
skladatelsko delavnico“, in Hugo Wolf – Sodobniki in nasledniki/Seine Zeitgenossen und Nachfolger, ed.
Branko Čepin (Slovenj Gradec: Društvo Huga Wolfa, 2001), 53-73.

5 Hiezu siehe Hartmut Krones, “[Die] Tradition der musikalisch-rhetorischen Figuren in Hugo
Wolfs Liedschaffen/Tradicija glasbeno-retoričnih figur v samospevih Huga Wolfa“, in Hugo Wolf
– Sodobniki in nasledniki/Seine Zeitgenossen und Nachfolger, ed. Branko Čepin, 74-100; Hartmut Kro-
nes, “Zum Nachwirken der musikalisch-rhetorischen Figuren in Hugo Wolfs Eichendorff-Lie-
dern“, in Joseph von Eichendorff. Tänzer, Sänger, Spielmann, hrsg. Ute Jung-Kaiser, Matthias Kruse
(Hildesheim, Zürich, New York: Olms, 2007), 173-190; Hartmut Krones, “Zur Tradition der
musikalischen Rhetorik im Œuvre Hugo Wolfs“, in Musicologia Austriaca 26 (2007). „Wahrheit bis
zur Grausamkeit“. Internationales Hugo Wolf Symposium Graz / Slovenj Gradec / Ottawa November 2003,
eds. Barbara Boisits, Cornelia Szabó-Knotik (Wien: Praesens, 2008), 77-100.

6 Hiezu siehe Hartmut Krones, “Tonale und harmonische Semantik im Liedschaffen Alexander
Zemlinskys“, in Alexander Zemlinsky. Ästhetik, Stil und Umfeld, hrsg. Hartmut Krones (Wien, Köln,
Weimar: Böhlau, 1995), 163-187.

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