Page 102 - Vinkler, Jonatan, in Jernej Weiss. ur. 2014. Musica et Artes: ob osemdesetletnici Primoža Kureta. Koper: Založba Univerze na Primorskem.
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musica et artes
nb 3: »Der Genesene an die Hoffnung«, Singstimme T. 1-11.
schon«, »Hoffnung«, »bis der [Sieg]«, »seitwärts«, »sahest du«, »O ver-
gib«, »Tritt aus« sowie »schliesse mich«. Hinzu tritt noch ein auftaktig
gestalteter (6.) Versbeginn (»doch vergessen«), und der zuvor erstmals tro-
chäisch deklamierte (5.) Vers (»Opfer bracht’ ich«) wirkt durch die zwei
kurzen Eröffnungssilben sowie durch die Dehnung des »bracht’« ebenfalls
wie eine auftaktige Gestaltung. Insgesamt erscheinen jedenfalls alle von
,wichtigen‘ Worten eröffneten Verse durch Synkopen oder zumindest durch
einen in landläufigem Sinne ,nicht [deutlich] trochäischen‘ Beginn affektiv
aufgeladen, lediglich die gleichsam ,erzählenden‘ Verse Nr. 11–15 deklamiert
Wolf in einfachen Trochäen, wobei auch hier wichtige Worte eine ,binnen-
synkopische‘, vom Klavier ebenfalls synkopisch unterstützte Betonung er-
fahren (»recht [von Herzen]«, »Kind«, »ohne [Schmerzen]«) und das
»ach« des 15. Verses eine Seufzerpause (Suspiratio) nach sich zieht. So ist es
geradezu zwingend, daß der letzte Vers »schliesse mich in deinen Arm« er-
neut synkopisch anhebt, ehe die Worte »in deinen Arm« zu ruhigem Aus-
singen führen; Klavier-Synkopen hinterfragen aber noch einmal den posi-
tiven Ausgang, bis auch hier – ganz gegen Schluß – Gewißheit und Ruhe
einkehren.
Wolfs Zeitgenosse Ernst Decsey hat das hier beschriebene komposi-
torisch-deklamatorische Verfahren des Komponisten an Hand von dessen
»Prometheus«-Vertonung in besonders schöner Art und Weise umrissen:
»Jede Achtelpause, jede Synkope wird beredt; es ist ein psychologisches wahrhaf-
tes Deklamieren.« Und später heißt es: »Wolf gibt dem Dichterwort oft n e u e
Impulse, namentlich durch die Synkope, die das Schwergewicht möglichst weit
nach vorne schiebt; so sagt er m e h r als der Dichter, so entstehen neue Inhalte.«9
Angesichts dieser frühen treffenden Analyse erscheint es umso unverständli-
9 Ernst Decsey, Hugo Wolf. Zweiter Band: Hugo Wolfs Schaffen 1888–1891 (Leipzig–Berlin: Schuster &
Loeff ler, 1904), 143. Sperrungen original.
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nb 3: »Der Genesene an die Hoffnung«, Singstimme T. 1-11.
schon«, »Hoffnung«, »bis der [Sieg]«, »seitwärts«, »sahest du«, »O ver-
gib«, »Tritt aus« sowie »schliesse mich«. Hinzu tritt noch ein auftaktig
gestalteter (6.) Versbeginn (»doch vergessen«), und der zuvor erstmals tro-
chäisch deklamierte (5.) Vers (»Opfer bracht’ ich«) wirkt durch die zwei
kurzen Eröffnungssilben sowie durch die Dehnung des »bracht’« ebenfalls
wie eine auftaktige Gestaltung. Insgesamt erscheinen jedenfalls alle von
,wichtigen‘ Worten eröffneten Verse durch Synkopen oder zumindest durch
einen in landläufigem Sinne ,nicht [deutlich] trochäischen‘ Beginn affektiv
aufgeladen, lediglich die gleichsam ,erzählenden‘ Verse Nr. 11–15 deklamiert
Wolf in einfachen Trochäen, wobei auch hier wichtige Worte eine ,binnen-
synkopische‘, vom Klavier ebenfalls synkopisch unterstützte Betonung er-
fahren (»recht [von Herzen]«, »Kind«, »ohne [Schmerzen]«) und das
»ach« des 15. Verses eine Seufzerpause (Suspiratio) nach sich zieht. So ist es
geradezu zwingend, daß der letzte Vers »schliesse mich in deinen Arm« er-
neut synkopisch anhebt, ehe die Worte »in deinen Arm« zu ruhigem Aus-
singen führen; Klavier-Synkopen hinterfragen aber noch einmal den posi-
tiven Ausgang, bis auch hier – ganz gegen Schluß – Gewißheit und Ruhe
einkehren.
Wolfs Zeitgenosse Ernst Decsey hat das hier beschriebene komposi-
torisch-deklamatorische Verfahren des Komponisten an Hand von dessen
»Prometheus«-Vertonung in besonders schöner Art und Weise umrissen:
»Jede Achtelpause, jede Synkope wird beredt; es ist ein psychologisches wahrhaf-
tes Deklamieren.« Und später heißt es: »Wolf gibt dem Dichterwort oft n e u e
Impulse, namentlich durch die Synkope, die das Schwergewicht möglichst weit
nach vorne schiebt; so sagt er m e h r als der Dichter, so entstehen neue Inhalte.«9
Angesichts dieser frühen treffenden Analyse erscheint es umso unverständli-
9 Ernst Decsey, Hugo Wolf. Zweiter Band: Hugo Wolfs Schaffen 1888–1891 (Leipzig–Berlin: Schuster &
Loeff ler, 1904), 143. Sperrungen original.
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