Page 196 - Weiss, Jernej, ur. 2017. Glasbene migracije: stičišče evropske glasbene raznolikosti - Musical Migrations: Crossroads of European Musical Diversity. Koper/Ljubljana: Založba Univerze na Primorskem in Festival Ljubljana. Studia musicologica Labacensia, 1
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glasbene migracije: stičišče evropske glasbene raznolikosti

Eglantine „O mein Leid“ („Odi, o prode cavaliere“). Diese Einlage diente le-
diglich dazu, die Partie der Roschana im Stück behalten zu können und so-
mit der Sängerin Pauline Vaneri eine Auftrittsmöglichkeit zu bieten. Eine
erhöhte dramaturgische Bedeutung kann dieser Einlage allerdings nicht
konstatiert werden.23

Die hier auszugsweise beschriebenen Eingriffe Benedicts in die mu-
sikalische Struktur des Werks, um es am Her Majesty’s Theatre aufführ-
bar zu machen, wurden durch die Erstaufführung des italienischen Oberon
1860 entlohnt. Die englische Presse sprach einhellig von einem „immen-
se success“24, der, wenn man an den Misserfolg der englischen Oper denkt,
so nicht unbedingt vorherzusehen war. Allerdings hatte diese neue Versi-
on des Oberon durch die durchgeführten Änderungen kaum mehr etwas
mit dem ursprünglichen Werk gemein. Dazu kam, dass vor allem die Ein-
lagen aus Euryanthe dazu dienten, den Fokus der Aufführung auf die Sän-
ger und deren Arien zu lenken, um dem rezeptionsästhetischen Fokus des
Publikums zu entsprechen.

Dieser Hintergrund wurde freilich, durch die gleichzeitige Betonung
einer englischen nationalen Identität, hinter dem kommunizierten Ideal
eines authentischen Werkes, das ganz im Sinne Webers war, verschleiert.
Für diese Konstruktion einer englischen Identität spielten, neben der ur-
sprünglichen Konzeption des Werks als englische Oper, vornehmlich per-
sonelle und inhaltliche Faktoren eine Rolle. So wurde Benedict, obwohl er
eigentlich ein gebürtiger Deutscher war, als fixer Bestandteil des englischen
Musiklebens gesehen und ließ sich somit problemlos in diesen Kontext in-
tegrieren. Gleiches gilt auch für den Stoff der Oper, der auf William Shake-
speares A Midsummernight’s Dream rekurriert und dementsprechend
einen integralen Teil der englischen Theatertradition bildete.25 Diese kon-
struierten englischen ästhetischen Ideologien wurden nun vor dem Hin-
tergrund der Etablierung einer Authentizität mit der modischen und star-
besetzten italienischen Oper kombiniert,26 um einen Publikumserfolg zu
erzielen. Dementsprechend wird deutlich, wie komplex das System Oper
auf die es umgebenden und inhärenten Faktoren reagierte.

23 Für die genauen Hintergründe zur Entscheidung bezüglich der Beibehaltung der
Partie der Roschana vgl. ebd., 204–205.

24 The Musical World, 38 (1860): 477.
25 Vgl. Zechner, „Das englische Geschäft mit der Nachtigall“, 206.
26 Bei der Besetzung der Premiere von 1860 handelte es sich um Tietjens (Reiza), Mon-

gini (Huon), Belart (Oberon), Everardi (Scherasmin), Alboni (Fatima) und Vaneri
(Roschana), vgl. The Musical World, 38 (1860): 477.

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