Page 192 - Weiss, Jernej, ur. 2017. Glasbene migracije: stičišče evropske glasbene raznolikosti - Musical Migrations: Crossroads of European Musical Diversity. Koper/Ljubljana: Založba Univerze na Primorskem in Festival Ljubljana. Studia musicologica Labacensia, 1
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glasbene migracije: stičišče evropske glasbene raznolikosti

Titels zu Gli Ugonotti und einer Übersetzung des Librettotexts, die beste-
henden dramaturgischen Schwerpunkte der Oper zugunsten der Solisten
verschoben und die Ballettanteile gekürzt, um sich an einen italienischen
Stil anzunähern.9

Welche Mechanismen bei diesen Adaptionen in Bezug auf die Über-
setzung des Librettos wirkten, lässt sich anhand Aubers L’enfant prodigue
(in London 1851 als Il Prodigo aufgeführt) erkennen. Auf Basis des Texts des
gedruckten französischen Klavierauszugs wurde eine italienische Überset-
zung der Oper angefertigt. Diese orientierte sich neben inhaltlichen auch an
phonetischen Kriterien, was durch die gemeinsame etymologische Grund-
lage der beiden Sprachen selbstverständlich begünstigt wurde.10 Auf dieser
Basis wurden dann durch den Musical Director des Her Majesty’s Theatre,
Michael William Balfe, geringfügige musikalische Kürzungen vorgenom-
men. Davon betroffen waren hauptsächlich Rezitative und Chöre. Eine um-
fangreichere musikalisch-dramaturgische Änderung betraf die Arie der
Nefte „L’aurore étincelante“ bzw. in italienischer Übersetzung „L’aurora ris-
pledente“ im ersten Akt der Oper. Ursprünglich eine Arie mit Ensemblebe-
teiligung wurde sie nun durch Striche und Verschiebungen dergestalt mo-
difiziert, dass sie dramaturgisch als eine Auftrittsarie fungierte und somit
die französische Primadonna Delphine Ugalde bei ihrem Londoner De-
büt in den Mittelpunkt rückte.11 Diese Adaption wurde auch von der eng-
lischen Kritik hervorgehoben, welche die Arie als besonders gelungenes
Highlight der Oper hervorhob.12 Im Gegensatz zu den Adaptionen der Ugo-
notti nehmen sich jene im Prodigo, die in Hinblick auf die Premiere getrof-
fen wurden, zunächst eher gering aus. Nach der Premiere wurde die Oper
allerdings in der Presse äußerst negativ besprochen, wobei hier neben mu-
sikalischen Schwächen auch ihre enorme Länge kritisiert wurde.13 In Hin-
blick auf die zweite Aufführung des Werks trug man dieser Kritik durch
die Zusammenlegung der Akte vier und fünf Rechnung, wodurch die Oper
für das Publikum ungleich attraktiver wurde.14 Trotzdem wurde die Oper
als zu lang empfunden („the longest work ever produced at Her Majesty’s

9 Vgl. Gabriella Dideriksen, Repertory and Rivalry. Opera at the Second Covent Garden
Theatre, 1830 to 1856 (PhD diss., University of London, 1997), 327–329.

10 Vgl. Zechner, „Das englische Geschäft mit der Nachtigall“, 187.
11 Ebenda, 191.
12 Vgl. The New Monthly Magazine, 92 (1851): 377.
13 Vgl. The Athenaeum (1851): 641 und The Musical World, 29 (1851): 376–378.
14 Vgl. ebd., 392.

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