Page 193 - Weiss, Jernej, ur. 2017. Glasbene migracije: stičišče evropske glasbene raznolikosti - Musical Migrations: Crossroads of European Musical Diversity. Koper/Ljubljana: Založba Univerze na Primorskem in Festival Ljubljana. Studia musicologica Labacensia, 1
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die londoner oper des 19. jahrhunderts als manifestation musikalischer migration

Theatre“15). Diese Wahrnehmung führte schließlich dazu, dass das übliche
nach der Opernaufführung stattfindende Ballett abgesagt wurde. Die be-
stehen bleibenden Ballette im zweiten und dritten Akt der Oper wurden
als Ersatz offensichtlich als ausreichend empfunden.16 Durch die Gegen-
überstellung der beiden hier besprochenen Adaptionen, die das Werk in
unterschiedlichem Ausmaße modifizierten, wird deutlich, dass sich die-
ser Anpassungsprozess ästhetisch nicht nur an einer italienischen Opern-
konvention, sondern auch an den Vorlieben eines spezifischen Opernpu-
blikums und den ausführenden Sängern orientierte. Dass die ästhetische
Schwerpunktsetzung des Londoner Publikums auf dem Ballett, den sze-
nischen Effekten und den Stars der internationalen Opernwelt lag, kam
demzufolge auch bei den Adaptionen zum Tragen.

Webers Oberon
– von der englischen Oper zur italienischen Oper
Bei Carl Maria von Webers Oper Oberon handelte es sich im Gegensatz zu
Don Giovanni, Gli Ugonotti und Il Prodigo um keinen Werkimport im en-
geren Sinne. Aufgrund von Webers großen Erfolg mit dem Freischütz in
London wurde er vom Theatre Royal Covent Garden beauftragt eine neue,
englische Oper zu komponieren. Neben dem englischen Libretto sah dies
auch die Einführung von Dialogen statt Rezitativen vor. Die Uraufführung
des Werks 1826 war dennoch kein Erfolg: Kritisiert wurden das Fehlen ein-
gängiger Melodien und mangelnde Sensibilität in der Behandlung der Sin-
gstimmen sowie Oberflächlichkeit. Die logische Konsequenz vor diesem
Hintergrund war, dass Oberon zunächst vollkommen von den Bühnen
Londons verschwand.17
Im Jahr 1860 entstanden allerdings Bemühungen, Webers letzte Oper
wieder auf den Spielplänen zu etablieren – dies sollte allerdings nicht in
der englischen Ursprungsversion, sondern als italienische Adaption für
das Her Majesty’s Theatre geschehen. Dementsprechend mussten die Dia-
loge der englischen Originalversion zu italienischen Rezitativen abgeändert
werden. Diese Rezitative wurden allerdings nicht neu getextet und kom-
poniert, sondern vor dem Hintergrund der Konstruktion einer vermeint-
lichen Authentizität aus anderen Opern Webers, hauptsächlich jedoch aus
dessen Euryanthe, entnommen. Dieser Bearbeitungsprozess wurde von Ju-

15 Ebenda, 392.
16 Vgl. ebd., 392.
17 Vgl. Zechner, „Das englische Geschäft mit der Nachtigall“, 196–197.

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