Page 194 - Weiss, Jernej, ur. 2017. Glasbene migracije: stičišče evropske glasbene raznolikosti - Musical Migrations: Crossroads of European Musical Diversity. Koper/Ljubljana: Založba Univerze na Primorskem in Festival Ljubljana. Studia musicologica Labacensia, 1
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glasbene migracije: stičišče evropske glasbene raznolikosti

lius Benedict bewerkstelligt, einem ehemaligen Schüler Webers. Dass diese
Tatsache für die öffentliche Wahrnehmung als werktreue italienische Oper
nicht unerheblich war, lässt sich aus dem von James Robinson Planché (er
hatte im Übrigen auch den englischen Text verfasst) verfassten Vorwort
zum italienischen Libretto ersehen, das dieses Lehrer-Schüler-Verhältnis
mehrfach thematisiert.18

Die musikalische Transformation dieses in Webers Worten „dra-
ma with songs“19 in eine für das Londoner Publikum adäquate italienische
Oper erforderte massive kompositorische Eingriffe Benedicts. Von den ur-
sprünglich drei Akten wurde der italienische Oberon auf vier erweitert. Al-
lerdings kann angenommen werden, dass diese Aktzahl nicht endgültig
feststand, sondern je nach Aufführungskontext angepasst wurde. So be-
richtete beispielsweise die Niederrheinische Musikzeitung, dass das Fina-
le der Euryanthe als fünfter Akt des Londoner Oberons fungierte, woraus
eine Aktzahl von fünf Akten resultieren würde.20 Die Rekonstruktion einer
absoluten Werkgestalt erscheint folglich aufgrund derartiger Berichte nur
schwer möglich und auch wenig sinnvoll, da eine derartige Flexibilität als
integraler Bestandteil der Gattung Oper gelten kann.

Derartige Modifikationsprozesse machen auch deutlich, dass eine un-
eingeschränkte Anpassung an ein italienisches Opernideal aus ästhetischer
Sicht nicht eigentlich intendiert war. Vielmehr reichte eine ungefähre An-
näherung aus. Eine konsequente Anpassung an die Konventionen der itali-
enischen Oper der Zeit hätte nämlich eine Auflösung der in der englischen
Oper angelegten Nummernstruktur mit dazwischen liegenden Dialogen
erfordert. Die Nummernstruktur blieb allerdings auch in der italienischen
Version erhalten und wurde mittels rudimentärer Rezitative verbunden.
Diese Praxis stellt nur auf den ersten Blick einen Widerspruch zum Publi-
kumsgeschmack dar. So war das Londoner Opernpublikum hauptsächlich
an gefälligen und effektvollen Arien der Sänger interessiert und nicht an ei-
ner authentischen italienischen Opernfassung. Eine Identifikation der Ari-
enhighlights ließ sich somit leichter bewerkstelligen.

Fiktive Authentizität wurde in der italienischen Version des Oberon
durch die Bezüge zu Webers Opernschaffen hergestellt, was sich auch an-

18 Vgl. ebd., 198.
19 Brief von Carl Maria von Weber an Planché, 6. Januar 1825, zitiert nach: James Rob-

inson Planché, The Recollections and Reflections of J.R. Planché, Vol. 1 (London:
Tinsley Brothers, 1872), 75.
20 Vgl. Niederrheinische Musikzeitung für Kunstfreunde und Künstler, 11 (1863): 239–
240.

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