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Egon Wellesz in Wien und Oxford
Stationen eines Lebens

Peter Andraschke
Univerza Justus Liebig v Giessnu
Justus Liebig University Giessen

Als Wellesz (geb. 1885 in Wien, gest. in 1974 in Oxford) 1938 mit 52 Jahren
nach England emigrierte, stand er im Zenit seiner Erfolge als Komponist
und als Musikwissenschaftler. Die große Resonanz der fünf Orchesterstü-
cke Prosperos Verschwörung1 bei ihrer Uraufführung am 19. Februar 1938 in
Wien unter Bruno Walter hatte zu Aufführungen in Amsterdam (13. März)
und Rotterdam (16. März) geführt. Wellesz war deswegen am 9. März in die
Niederlande gereist. Am 13. März erfolgte der Anschluß Österreichs an Hit-
ler-Deutschland. Wellesz war klar, daß er keine Chancen besaß, in Öster-
reich sein gewohntes Leben aufzunehmen. Seine Familie stammte aus Un-
garn, und er hatteder israelitischen Religionsgemeinschaft angehört, bevor
er 1908 zum Katholizismus wechselte. Seine Bindung an die neue Konfes-
sion wurde in den Folgejahren „immer enger“, berichtet seine Frau Emmy:
„Den ersten Anstoß hiezu mögen die Eindrücke der katholischen

Liturgie gegeben haben, die ihn im Verlauf seiner musikalischen
Studien gefesselt hatte und an der er mit wachsender Ehrfurcht
und Überzeugung teilnahm. Er stand nicht nur in Österreich in
enger Beziehung mit einer Anzahl bedeutender Vertreter des ka-
tholischen Priestertums. Mehrmals hielt er sich in Solesmes auf,
jener französischen Benediktinerabtei, deren Mönche auf dem Ge-
biet der Erforschung und Erneuerung des Gregorianischen Gesangs

1 Egon Wellesz, Prosperos Verschwörung. 5 Orchesterstücke nach Shakespeares Der
Sturm op. 53 (1934–36).

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