Page 363 - Weiss, Jernej, ur. 2017. Glasbene migracije: stičišče evropske glasbene raznolikosti - Musical Migrations: Crossroads of European Musical Diversity. Koper/Ljubljana: Založba Univerze na Primorskem in Festival Ljubljana. Studia musicologica Labacensia, 1
P. 363
egon wellesz in wien und oxford: stationen eines lebens

trägen erhalten. Der Weg führte ihn über London und Cambridge nach
Oxford, wo er bereits am 20. Dezember 1938 zum Mitglied des renommier-
ten Lincoln College ernannt wurde und bis ans Lebensende blieb. Er wur-
de aber in einem Ehrengrab auf dem Wien Zentralfriedhof beigesetzt. Die
Familie folgte im Juli 1938 nach. Seine Frau Emmy konnte noch die Wie-
ner Haus veräußern, es war ein Zwangsverkauf, und es dürfte ihr „gelun-
gen sein, einen Großteil des angemeldeten mobilen Vermögens, so auch die
Bibliothek, mit nach Oxford zu nehmen.“5 1938 gab Wellesz als mobilen Be-
sitz eine etwa 3.000 Bände umfassende Bibliothek, „deren Wert er auf RM
1.000,-- schätzte, ‚Kupferstiche’ Radierungen, Holz- u. Farbschnitte’, ein
‚Gemälde Müller-Hofmann’ und ein ‚altes oberitalienisches Gemälde (un-
bekannter Meister)’ an.“6

Kurzbiographie bis zur Emigration
Wellesz studierte ab 1905 an der Universität Wien Musikwissenschaft im
Hauptfach bei Guido Adler und besuchte 1906 ergänzend eine Vorlesung
über englische Literatur bei den Sommerkursen in Cambridge. 1908 pro-
movierte er mit der Arbeit Guiseppe Bonno (1710–1788). Sein Leben und sei-
ne dramatischen Werke7 und begann sich auf eine wissenschaftliche Kar-
riere vorzubereiten, u.a. durch Teilnahme an internationalen Kongressen,
so 1911 in London. Von 1911-15 unterrichtete er Musikgeschichte am Neu-
en Wiener Konservatorium. 1913 habilitierte er sich mit dem Thema Ca-
valli und der Stil der venezianischen Oper von 1640–1660.8 Neben der am
Wiener Hof gepflegten italienischen Barockoper beschäftige sich Wellesz
bereits früh mit dem frühchristlichen Kirchengesang. Dabei konnte er u.a.
erstmalig die mittelbyzantinische Notenschrift entziffern. Die Musik der
Ostkirche wurde ein neuer Forschungsschwerpunkt. Er schuf grundlegen-
de Arbeiten und erwarb sich damit internationales Ansehen.

Schon in seiner letzten Gymnasialzeit, ausgelöst durch Mahlers Wir-
ken an der Wiener Oper ab 1897, begann er sich spontan und ohne Anlei-

5 Regina Thumser, „„Arisierung“ ohne Restitution“, in: Michael Haas/Marcus G. Pat-
ka, Hg., Musik des aufbruchs. hans gál und egon wellesz. continental britons [sic!]
(Wien: Mandelbaum Verlag, 2004) S. 113.

6 Ebenda, S. 112.
7 Egon Wellesz, „Guiseppe Bonno (1710–1788). Sein Leben und seine dramatischen

Werke“, in Sammelbände der internationalen Musikgesellschaft, 11 (1909/10): 395–
442.
8 Egon Wellesz, „Cavalli und der Stil der venizianischen Oper von 1640-1660“, in Stu-
dien zur Musikwissenschaft, 1 (1913): 1–103.

361
   358   359   360   361   362   363   364   365   366   367   368