Page 365 - Weiss, Jernej, ur. 2017. Glasbene migracije: stičišče evropske glasbene raznolikosti - Musical Migrations: Crossroads of European Musical Diversity. Koper/Ljubljana: Založba Univerze na Primorskem in Festival Ljubljana. Studia musicologica Labacensia, 1
P. 365
egon wellesz in wien und oxford: stationen eines lebens

„Ich war in meinen Universitätsjahren mit Berg und Webern bei-
sammen, vor allem noch mit Webern, mit dem ich drei Jahre zu-
sammen studierte, und habe an den Versuchen teilgenommen, das
Überlieferte neue zu formen: von dem Beginn der Aufgabe einer
Tonalität bis zum Erreichen der Zwölftonreihe. […] Ich habe das
Prinzip der Reihenkomposition besonders in meiner Kammer-
musik viel angewandt, weil es für mein Gefühl der thematischen
Entwicklung ein festes Gerüst gibt und eine innere Einheit her-
vorbringt. Von der Reihe aber kann man dasselbe sagen wie vom
Fugenthema: beide müssen entwicklungsfähig sein, erst dann erfül-
len sie ihren Zweck. Wenn mir aber ein kontrastierender musika-
lischer Gedanke vorschwebt, der anderen Gesetzen folgen muß als
denen der Reihe, dann zögere ich nicht, dem Einfall zu vertrauen
und eine Musik zu schreiben, die tonal gebunden ist . . .“11
Die Beschäftigung von Wellesz mit zeitgenössischer Musik, vor al-

lem mit der Wiener Schule belegen neben dem überhaupt ersten Buch über
Schönberg (1921)12 zahlreiche Veröffentlichungen in Musikzeitungen und –
zeitschriften. Er gründete mit Rudolf Réti (1885–1957), einem Musiker aus
dem Schönberg-Kreis, im August 1922 die Internationalen Kammermu-
sik-Aufführungen in Salzburg. Aus ihnen ging im folgenden Jahr in London
die Internationale Gesellschaft für Neue Musik hervor, für die er in verschie-
denen Funktionen arbeitete. Dazu engagierte er sich in zahlreichen Orga-
nisationen. So war er auch für die Donaueschinger Musiktage der 1920er
Jahre ein wichtiger Wiener Kontaktmann bei der Suche nach geeigneten
Komponisten.13

Die ersten Jahre in Oxford
England war neben Amerika das wichtigste Ziel österreichischer Emigran-
ten auf der Flucht vor dem Naziregime – es waren überwiegend Juden. Von
den mehr als 130.000 Österreicherinnen und Österreichern, die zwischen
März 1938 und November 1941 die Heimat verließen, danach wurde jede

11 Zitiert nach Schollum, egon wellesz [sic!], S. 59.
12 Egon Wellesz, Arnold Schönberg (Leipzig-Wien-Zürich: E.P. Tal &Co. Verlag, 1921,

engl. übersetzt von W. H. Kerridge, London–Toronto: J.M. Dent & Sons, New York:
E.P. Duttom, [1925]).
13 Peter Andraschke, „Die Rezeption der Wiener Schule in Freiburg i. Br. und Donau-
eschingen in den 1920er Jahren“. Referat auf dem Internationalen Symposium „Die
Rezeption der Wiener Schule in Ost- und Südosteuropa“, Arnold Schönberg Center
Wien, 21.–23. Juni 2007.

363
   360   361   362   363   364   365   366   367   368   369   370