Page 362 - Weiss, Jernej, ur. 2017. Glasbene migracije: stičišče evropske glasbene raznolikosti - Musical Migrations: Crossroads of European Musical Diversity. Koper/Ljubljana: Založba Univerze na Primorskem in Festival Ljubljana. Studia musicologica Labacensia, 1
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glasbene migracije: stičišče evropske glasbene raznolikosti

führend waren, und mit einigen von ihnen blieb er in ständigem
Kontakt. Er war tief beeindruckt von einem von Barcelona aus un-
ternommenen Besuch in der Abtei von Monserrat, wo er Don Su-
nol kennenlernte, der sich ebenfalls dem Studium des Chorals wid-
mete und den E. W. [sic!] verehrte“.2
So ist es verständlich, daß sich Wellesz einem katholisch geprägten
Kreis des Widerstandes gegen den Nationalsozialismus anschloß. Die bei-
den wichtigsten Persönlichkeiten dort waren Dietrich von Hildebrand
(1889–1977) in Wien und Thomas Michels (1892–1979) in Salzburg. Der ka-
tholische Philosoph von Hildebrand mußte 1933 wegen seiner politischen
Aktivitäten München verlassen und floh nach Wien, wo er mit Unterstüt-
zung des Bundeskanzler Engelbert Dollfuß einen Lehrstuhl erhielt und das
anti-nationalsozialistischen Wochenblatt Der Ständestaat gründete. Thomas
Michels, Benediktinerpater und Liturgieforscher aus dem rheinischen Klos-
ter Maria Laach „war von seinem Abt nach Salzburg entsandt worden, um
von dort aus in Österreich als Vorkämpfer gegen den Nationalsozialismus zu
wirken.“3 Er plante „die Schaffung einer übernationalen Katholischen Uni-
versität in Salzburg“ und organisierte zunächst die allsommerlichen Salz-
burger Hochschulwochen, wo Wellesz seit 1935 Seminare und Vorträge hielt.
Teilnehmer waren vor allem Studenten, darunter der spätere Journalist Er-
ich Thanner (1912–1981), der in Wien studierte und sich dort im Kreis von v.
Hildebrandt in der farbentragenden Studentenverbindung „Österreichische
Landsmannschaft“ für den Plan einer Österreichischen Akademie engagier-
te, „die als eine Art geistiger Kampfansage gegen die heraufziehende, ganz
Europa beherrschende Barbarei in Salzburg stattfinden sollte.“4
Die Verfolgung dieser Interessengemeinschaft katholischer Akade-
miker mit monarchistischem Gedankengut setzte unmittelbar nach dem
Anschluß ein. Alle, die sich nicht rechtzeitig absetzen konnten, kamen ins
Gefängnis oder KZ, einige überlebten nicht. Die Wellesz gehörende Haus-
hälfte im Grinziger Kaasgraben wurde am 17. März durchsucht und am
23. April seine Lehrbefugnis an der Wiener Universität widerrufen. So ent-
schied er sich noch in Holland zur Emigration am 24. März. Er hatte von
englischen Kollegen und Freunden aus dem Bereich der Wissenschaft, die
von seinen Schwierigkeiten wußten, Einladungen zu Gesprächen und Vor-

2 Franz Endler, Hg., Egon und Emmy Wellesz, Egon Wellesz. Leben und Werk (Wien-
Hamburg: Paul Zsolnay Verlag, 1981), S. 236f.

3 Ebenda, S. 237.
4 Erich Thanner, zitiert nach: ebenda, S. 238.

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