Page 364 - Weiss, Jernej, ur. 2017. Glasbene migracije: stičišče evropske glasbene raznolikosti - Musical Migrations: Crossroads of European Musical Diversity. Koper/Ljubljana: Založba Univerze na Primorskem in Festival Ljubljana. Studia musicologica Labacensia, 1
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glasbene migracije: stičišče evropske glasbene raznolikosti

tung kompositorisch zu versuchen. In seinem Festvortrag am 26. Juni 1960
in der Wiener Staatsoper anläßlich Mahlers 100. Geburtstag sagte er:

„Es sind nicht mehr viele, die sich dieser großen Zeit erinnern.
Auch für mich […] sind aus den ersten Jahren von Mahlers Tätig-
keit als Direktor der Oper nur einzelne Aufführungen gegenwärtig,
vor allem eine Aufführung von Webers ‚Freischütz’, so lebendig, so
erschütternd, daß sie für mein Leben bestimmend wurde: sie mach-
te mich zum Musiker.“9
Bald darauf erhielt er eine erste theoretische Unterweisung durch sei-

nen Klavierlehrer, den Brahms-Schüler Carl Frühling (1868–1937). 1904–05
hatte er kurz Privatunterricht bei Schönberg in Kontrapunkt und Fuge, der
ihn zum Komponieren anregte. Dauer und Art der Unterweisung stehen
im Album Dem Lehrer Arnold Schönberg (Zum 50. Geburtstag, 13.9.1924).
Sie sind in der bisherigen Literatur ungenau angegeben.10 In dieser unver-
öffentlichten Festgabe haben sich die Schüler mit einem Foto und hand-
schriftlichen Hinweisen in Erinnerung gebracht. Wellesz schrieb:
„1904 – 5 Wien

Privatunterricht
Kontrapunkt und Fuge
Seit 1913 Privatdozent für
Musikgeschichte an der Universität
Wien“
Wellesz hatte keine kompositorische Ausbildung an einer Hochschu-
le und eignete sich sein Metier, ähnlich wie Schönberg, weitgehend autodi-
daktisch an. Wie Gustav Mahler fand Wellesz vor allem in den Sommer-
urlauben, die er in den Jahren 1918 bis 1934 in Altaussee (Salzkammergut)
verbrachte, Zeit und Muße zum Komponieren.
Erfahrungen mit der Zwölftontechnik erwarb er in Gesprächen. An-
läßlich eines Vortrags zur Uraufführung seiner 5. Symphonie am 20. Feb-
ruar 1958 in Düsseldorf erinnerte er sich:

9 Egon Wellesz, Festrede am 26. Juni 1960 in der Wiener Staatsoper in einem Festakt
zu Mahlers 100. Geburtstag, zitiert nach Robert Schollum, egon wellesz [sic!] (Öster-
reichische Komponisten des XX. Jahrhunderts 2) (Wien: Österreichische Musik­
zeitschrift/Österreichischer Bundesverlag [1964], Nachtrag 1985), S. 9.

10 Auf diesen Beleg hat mich Therese Muxeneder, Archivarin am Schönberg Center
Wien, aufmerksam gemacht.

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