Page 372 - Weiss, Jernej, ur. 2017. Glasbene migracije: stičišče evropske glasbene raznolikosti - Musical Migrations: Crossroads of European Musical Diversity. Koper/Ljubljana: Založba Univerze na Primorskem in Festival Ljubljana. Studia musicologica Labacensia, 1
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glasbene migracije: stičišče evropske glasbene raznolikosti

lischen Aussprache erschienen, aber ich hatte mich nicht an diese
Form herangewagt […]. Die Symphonie knüpft geistig an den spä-
ten, den ‚Londoner’ Haydn an.“28
Die ersten Aufführungen der 1.Symphonie fanden auf dem Kontinent
statt, in 1947 Berlin unter Sergiu Celibidache und 1948 in Wien unter Josef
Krips.

4. Symphonie
Wellesz hat einigen Symphonien Beinamen gegeben. So nannte er die 2.
Symphonie Die Englische und die Vierte Symphonia Austriaca. Angeregt
wurde letztere durch zwei Sommeraufenthalte in der österreichischen
Heimat in den Jahren 1950 und 1951, die er u.a. in St. Wolfgang im Salz-
kammergut verbrachte, d.h. unweit von Altaussee, seinem früheren Som-
mer- und Komponierdomizil. Beeinflußt durch diese Landschaft und alte
Erinnerungen, begann er nach der Rückkehr während der Proben zu sei-
ner einzigen in England komponierten Oper Incognita (UA Oxford 6. De-
zember 1951) mit der Arbeit an dieser Symphonie. Robert Schollum, der für
seine Monographie intensive Gespräche mit Wellesz in Oxford geführt hat,
schreibt dazu:

„Sie bringt ein neues Sehen der österreichischen Welt, deren Schön-
heit, aber auch Tragik in diese Symphonie ihren Eingang fand. […]
Der dritte Satz, Adagio, ist in diesem Werk nicht der sonst bei Wel-
lesz übliche große, weitausschwingende Gesang: er ist wesentlich
dramatischer gehalten, als es sonst bei Wellesz die langsamen Sät-
ze zu sein pflegen. Die eingestreuten tonalen Partien wirken atem-
beklemmend und dissonant: die Tonalität wirkt hier nach Wellesz’
Aussage als schmerzliches Erlebnis.“29
Für die Analyse geben diese recht allgemein gehaltenen Hinweise we-

nig her. Die Empfindungen des Hörers können sie hingegen in konkrete-
re Bahnen lenken.

Dieses Werkverständnis ist Gustav Mahler verwandt, wie er auch in
seinem Interview zur Uraufführung der 6. Symphonie geäußert hat: „Das
Schicksal spielt in allen meinen Werken eine Rolle.“30

28 Zitiert nach Schollum, egon wellesz [sic!], S. 51f.
29 Ebenda, S. 57.
30 Maximilian Speth, „Uraufführung der 6. Symphonie von Wellesz“, in Nürnberger

Zeitung, 25. Juni 1966, zitiert nach Hannes Heher, „Musik als Heimat-Ersatz. Die

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