Page 149 - Weiss, Jernej, ur. 2017. Glasbene migracije: stičišče evropske glasbene raznolikosti - Musical Migrations: Crossroads of European Musical Diversity. Koper/Ljubljana: Založba Univerze na Primorskem in Festival Ljubljana. Studia musicologica Labacensia, 1
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antonio lolli – auf der route bergamo–stuttgart –sankt-petersburg–neapel

renvollen Platz erhielt Lolli durch die Unterstützung von Paisiello, der das
neapolitanischen Musiklebens leitete und dessen Autorität in den hei-
mischen Kreisen damals unantastbar war.

Als sich Lolli in Neapel niederlässt, hört er auf, öffentlich aufzutreten
und gibt sich mit seltenen Konzerten im Duett mit seinem Sohn in privatem
Umfeld des höfischen Salons oder zu Hause für Freunde und Gäste zufrie-
den. Es gingen Gerüchte von seinem Tod um, und die „AMZ“ berichtete
im Juli 1799 darüber, dass Lolli lebt, aber „wie viele in Neapel sagten, schien
er aufgehört zu haben, zu arbeiten. Er lässt wochenlang die Geige und den
Bogen außerhalb des Hauses, und während der Proben, die niemand hört,
benutzt er einen mit Fett eingeschmierten oder eingeseiften Bogen“27. Auch
unterhielt er sich gerne mit den ihn besuchenden Brüdern Bernhardt und
Andreas Romberg, während er mit Andreas einige Geigenduette spielte,
bemerkten die Brüder keinerlei Spuren des professionellen Endes, obgleich
„sie zufällig aus seinen eigenen Worten verstanden, dass die Legende über
die Einstellung seiner regulären Tätigkeit durchaus glaubwürdig sei“28. Als
amüsantes Zeugnis der schöpferischen Übungen des Maestros im Alter
ist der „Scherz“ für zwei Geigen erhalten (was oft fälschlicherweise Haydn
oder Mozart zugeordnet wurde): beide Geiger spielen nach ein und dem-
selben Notenblatt, dass zwischen ihnen liegt, wobei jeder seinen Text „auf
dem Kopf stehend“ hinsichtlich des Textes seines Partners liest.

Die letzten Jahre verbrachte Antonio Lolli in Sizilien, in Ruhmlosigkeit
und Armut. Auch wenn das Ausmaß seiner Armut uns unbekannt ist, so
liegt der Grund nicht nur am umtriebigen Charakter unseres Helden, der
sein ganzes Leben lang mit dem Schicksal „Katz und Maus“ spielte. Riskie-
ren wir anzunehmen, dass es auch hier nicht ohne Paisiello abging – dies-
mal aber im Negativen. Die Sache ist die, dass nach der neapolitanischen
Revolution, die das Regime der Bourbonen stürzte, Paisiello sich 1799 ein-
verstanden erklärte, das musikalische Direktorat in der neuen neapolita-
nischen Regierung zu leiten und Lolli in irgendeiner Form in diese Arbeit
einbezog. Aber die Bourbonen kehrten zurück, entbanden ihn von allen
Pflichten. Nach einigen Schwierigkeiten konnte er sicher nach Frankreich
ausreisen, wo er sich an der Spitze der persönlichen Kapelle von Napoleon
Bonaparte stellte. Der 70-jährige Lolli konnte nirgendwohin gehen. Ohne
Rente (woher seine Armut am Lebensabend kommt!) ging er nach eigenem
Willen (oder fremden – wer weiß?) weit weg von Neapel, nach Palermo, wo

27 AMZ, 1799, № 42, Spalte/Reihe 686.
28 Ebenda.

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