Page 173 - Weiss, Jernej, ur. 2017. Glasbene migracije: stičišče evropske glasbene raznolikosti - Musical Migrations: Crossroads of European Musical Diversity. Koper/Ljubljana: Založba Univerze na Primorskem in Festival Ljubljana. Studia musicologica Labacensia, 1
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leopolis – lwów – leopoli – lemberg – львів – львов in galizien ...

ger Frauenkloster Sant-Benedikt“9. Das ist ein folgerichtiges typisches Bei-
spiel, wie ortansässige Mäzene und Musikliebhaber nach den Kontakten zu
den professionellen Musikern aus dem Westeuropa suchten.

Die obengenannten historischen Tatsachen beweisen, af welche Art
und Weise komplizierte national-gesellschaftlichen Entwicklung dieses
einzigartigen Landes, die Herrschaft der verschiedenen Nationalstaaten auf
diesem Territorium dazu führte, daß allmählich hier nicht nur einzelne
Nationalgemeinden, sondern auch mehrere Kulturtraditionen eingewur-
zelt sind. Wichtige Rolle in diesem Prozeß spielte die religiöse Vielfältig-
keit, die sich noch zum Anfang des XX. Jahrhunderts bewahrte, wann das
Ansehen der Kirchen verschiedener Konfessionen gar nicht zurückging.

Davon zeugt schon die bloße Zahl aller Kirchen in Lemberg mit sei-
nen etwas mehr als 200.000 Einwohnern vor dem Ersten Weltkrieges – 36
römisch-katholische, 14 griechisch-katholische, 1 armenische, 1 deutsche
evangelische, 1 Kapelle der evangelischen Menoniten, 10 Synagogen (au-
ßer den zahlreichen anderen jüdischen Gebethäuser) und 2 ökumenische
Kirchen – eine bei dem städtischen Hauptspital, wo die Gottesdienste la-
teinisch, altslawisch und armenisch abgehalten sind, und andere bei dem
Stadtgefängnis (lateinisch und altslawisch). Also, zusammen wirkten in
den ersten Jahrzehnten des XX Jahrhunderts in Lemberg (ohne Vororte!)
66 Kirchen der fünf Konfessionen10.

Diese kurze historische Übersicht scheint sehr wichtig für das Ver-
ständnis der Kulturprozesse im Land. Zahlreiche philosophischen, wissen-
schaftlichen, ästhetisch-künstlerischen Einflüsse strömten zu Galizien aus
mehreren Ländern Europas und wurden in den humanitären Wissenschaf-
ten, wie auch in der Architektur, bildenden Kunst, Literatur, besonders in
der Musik ausdrucksvoll geprägt.

Auch die nationalen Gemeinschaften – sowohl die größten und zahl-
reichsten polnischen und ukrainischen (ruthenischen) Schichten, als auch
die österreichischen, jüdischen, deutschen, tschechischen, ungarischen
und anderen kleineren Völkerschaften gründeten hier die Musikinstitu-
tionen und Gesellschaften, wo eigene Kulturtraditionen gepflegt wurden.

9 Zit. nach: Leszek Mazepa, „Schüler von Karol Mikuli“, Musikgeschichte in Mittel- und
Osteuropa. Mitteilungen der internationalen Arbeitgemeinschaft an der Technischen
Universität Chemnitz, Heft 6 (Chemnitz: Gudrun Schröder Verlag, 2000), 85.

10 Stepan Schach, Lemberg – die Stadt meiner Jugend (Erinnerung, den Schatten der ver-
gessenen Lemberger gewidmet), Teil 1–2 (München: Chrystyjans´kyj holos, 1955), 99–
111. [Степан Шах, Львів – місто моєї молодості (спомин, присвячений тіням
забутих львов’ян), Частина 1–2 (Мюнхен: Християнський голос, 1955), 99–111].

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