Page 174 - Weiss, Jernej, ur. 2017. Glasbene migracije: stičišče evropske glasbene raznolikosti - Musical Migrations: Crossroads of European Musical Diversity. Koper/Ljubljana: Založba Univerze na Primorskem in Festival Ljubljana. Studia musicologica Labacensia, 1
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glasbene migracije: stičišče evropske glasbene raznolikosti

Doch das homogene soziokulturelle Umfeld führte zwangsläufig zu mehr
oder weniger intensiver multikultureller Interaktion.

Dementsprechend existierten in dieser Region immer beisammen
zwei entgegengesetzten Richtungen des Kulturlebens:
1. zentrifugale Richtung, dank deren bestätigten sich einmalige we-

sentliche Merkmale der nationalen Mentalität nicht nur in der
Volkskunst (was scheint selbstverständlich), sondern auch in der
professionellen Kunst, darunter in der Musik, die sehr aktiv in
ihren liebhaberischen Formen gepflegt wurde. Diese Richtung
spielte große Rolle in der gesellschaftlich-nationalen Bewegung
jeder Nationalgruppe, zielte auf ihr nationales Bewußtsein und
Bildung eigener kulturpolitischen Strukturen;
2. zentripetale Richtung, welche verschiedene Nachbareinflusse,
d.h. die Einflusse der anderen das Land besiedelten Nationalge-
meinden, wie auch die alleuropäischen stilistischen Kunstströ-
mungen natürlicherweise berücksichtigt und laut der eigenen
Bedürfnissen, geistigen Traditionen und Werten adaptiert.
Besonders markant war im Sinne der Zusammenwirkung verschi-
edener Nationalkulturen die österreichische Periode (1772–1918). Riesiges
Habs­burger Imperium spornte gar dazu an, in andere, im Sinne von breite-
ren Möglichkeiten, großen ökonomischen und Handelsperspektiven, gün-
stigere Regionen zu übersiedeln. Für Galizien war es doch gar kein einde-
utiger Prozess. Natürlich, gab es mehrere wichtige Leistungen, die dank
den talentvollen und findigen Neusiedlern erhalten sind. Aber auch kam
hierher jede Menge Hochstapler, was gang und gäbe für die neu erworbe-
nen Territorien typisch ist. Bald entstand eine etwas böseartige Anekdo-
te zu diesem Thema: Bei einem Besuch beim kaiserlichen Hof der Witwe
von Kastellan, Gräfin Katarina Kossakowska, geborene Potocka, hat sie die
Kaiserin Maria-Theresa gefragt, wie sie jetzt Wien findet, denn die Gräfin
Kossakowska antwortete: „Oh ja, jetzt sieht die Stadt viel besser aus, von
der Zeit, wann Lemberg zum Österreich gehört, weil die Wiener aus den
Fenstern die Gitter abgenommen haben, danach, wann alle Diejenigen (d.
h. die Diebe und Gauner), gegen die sie annahmen, zu den Beamten in Ga-
licien wurden“11.

11 Stanisław Schnür-Pepłowski, Boguslawski in Lemberg (Fragment aus der Ge-
schichte polnischer Szene) (Lwów: Jakubowski&Zadurowicz, 1895), 4–5. [Schnür-
Pepłowski Stanisław, Bogusławski we Lwowie (Ustęp z dziejów sceny polskiej) (Lwów:
Jakubowski&Zadurowicz, 1895), 4–5].

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