Page 183 - Weiss, Jernej, ur. 2017. Glasbene migracije: stičišče evropske glasbene raznolikosti - Musical Migrations: Crossroads of European Musical Diversity. Koper/Ljubljana: Založba Univerze na Primorskem in Festival Ljubljana. Studia musicologica Labacensia, 1
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leopolis – lwów – leopoli – lemberg – львів – львов in galizien ...

geistiger Tradition. Der Forscher glaubt auch, dass „in ihrer Au-
ssprache Polnisch und Ruthenisch mit dem vollen Recht mit Itali-
enisch verglichen sein können, denn Italienisch ist wohlklingend
und die angenehmste, sanfteste aller Sprachen.
b) wichtig, um die Art des Volkes zu bestimmen, zusätzlich zur
Sprache, ist sein Gesang. Die Slawen besitzen einen unerschöpfli-
chen Reichtum an Melodien und ein spezielles Liedgut, das „aus
einer bestimmten Weltsicht und das Gefühl der Slawen kommt“.
c) in seinen Überlegungen zu den Volksliedern sucht Rittersberg
nach den Besonderheiten jedes einzelnen Liedguts in allgemei-
ner slawischer Folklore, dann versucht, mentale Merkmale der
Gesangquellen zu definieren. Als führende Rhythmen für alle
slawischen Völker glaubt er die Rhythmen von Mazur, P­ olonaise,
Krakowiak. Ukrainische Lieder bezeichnet der Forscher als die
traurigsten unter allen slawischen Völker und erklärt es durch
die besondere mentale Art von Ukrainer – nicht durch die Ge-
schichte, wie es man scheinen könnte, die tragischen historischen
Schicksale des Volkes zu berücksichtigend. Stattdessen betont
Rittersberg, unter Hinweis auf Vergangenheit der Kosakischen
Ukraine, dass „der Kampf der ukrainischen Kosaken gegen mon-
golische Horden den Liedern gewisse Fröhlichkeit und das Feuer
hinzugefügt hat“.
Jetzt könnte diese Theorie als etwas naiv und veraltert betrachtet sein,
aber muß man berücksichtigen, dass sie in Lemberger Jahren (1841–1845)
des Ritterberg´s Lebens geschrieben wurde, also noch vor dem „Völker-
frühling“ und vor den gründlichen Forschungen von Oskar Kolberg.
Diese skizzenhaften Beobachtungen einiger „fremden“ Einflüsse auf
die musikalischen Traditionen bestimmter Region, wie auch ihre Konse-
quenzen für das regionale Geistesleben, beweisen überzeugend, dass in eu-
ropäischer Kultur bestimmte nationale Bewegungen und so wichtige für
romantische Epoche nationale Selbstidentifikation durch die nichtsdesto-
weniger gegenseitigen Zusammenwirkungen verschiedener Volkstraditi-
onen ergänzt wurde.
In diesem Sinne gehörte Galizien, nach wie vor, zu solchen Grenzen-
regionen, die in erster Reihe dank den reichen multinationalen Kontakten
und großer Flexibilität von „herrschenden“ und „unterordneten“ Volks-
schichten die Eigenart ihres künstlerischen (darin auch musikalischen) Ge-

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