Page 188 - Weiss, Jernej, ur. 2017. Glasbene migracije: stičišče evropske glasbene raznolikosti - Musical Migrations: Crossroads of European Musical Diversity. Koper/Ljubljana: Založba Univerze na Primorskem in Festival Ljubljana. Studia musicologica Labacensia, 1
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glasbene migracije: stičišče evropske glasbene raznolikosti

Die italienische Oper spielte allerdings auch in den Londoner Play-
houses eine wesentliche Rolle, in denen neben Sprechtheater auch englisch-
sprachige Adaptionen beliebter italienischer Opern aufgeführt wurden.
Durch das gewählte Repertoire ergab sich zwar eine intendierte Referenz
zu den italienischen Opern,1 allerdings wurden an den englischen Opern-
häusern kaum international renommierte Opernstars engagiert2 – dieser
Elitismus blieb aufgrund ihrer finanzkräftigen Klientele den italienischen
Opernhäusern vorbehalten.

Nichtsdestotrotz wird deutlich, dass das Italienische im Zusammen-
hang mit der Oper in London als eine spezifische Qualität angesehen wur-
de, die sich als prägend für das Musikleben der Hauptstadt im 19. Jahrhun-
dert herausstellen sollte – nicht umsonst fanden im 19. Jahrhundert kaum
Kompositionen englischer Komponisten Eingang in das Opernrepertoire.
Falls diese doch auf dem Gebiet der Oper reüssierten, dann spielten sie ent-
weder eine untergeordnete Rolle oder ihre Opern wurden als italienische
Adaptionen an den prestigeträchtigeren italienischen Opernhäusern aufge-
führt. Michael William Balfes The Bohemian Girl konnte in diesem Sinne
unter dem Titel La Zingara auf eine Karriere in der italienischen Oper ver-
weisen.

Dieser Aufsatz soll dementsprechend exemplarisch die am Londoner
Opernmarkt gängige Adaptions- und Importpraxis als Moment einer mu-
sikalischen Migration darstellen, die ein wesentliches Charakteristikum
des Werkkonzepts in der Oper des 19. Jahrhunderts repräsentiert. Musika-
lische Migration soll hier weniger als physischer Prozess der Mobilität und
der daraus resultierenden Neukontextualisierung in einem lokal differie-
renden Umfeld verstanden werden. Vielmehr wird musikalische Migration
hier als Transfer von musikalischen Werken aus ihrem ursprünglichen in
einen differierenden ästhetischen Kontext verstanden, woraus im Sinne ei-

1 Vgl. dazu u. a. Christina Fuhrmann, Foreign Opera at the London Playhouses: From
Mozart to Bellini (Cambridge: Cambridge University Press, 2015), 39.

2 Eine Ausnahme bildete hier das Engagement von Maria Malibran am Theatre Roy-
al Drury Lane im Jahr 1835 (vgl. María de las Mercedes Santa Cruz y Montalvo Mer-
lin, Memoirs of Maria Malibran, Vol. 2 (London: Henry Colburn, 1840), 34–35). Das
als englisches Debüt geplante Engagement von Jenny Lind am Theatre Royal Dru-
ry Lane 1845 scheiterte wegen eines Vertragsbruchs von Lind, da sie schließlich das
größere Prestige der italienischen Oper gegenüber den Playhouses erkannte (vgl. In-
geborg Zechner, Das englische Geschäft mit der Nachtigall. Betrachtungen zum ita-
lienischen Opernwesen im London des 19. Jahrhunderts (PhD diss., Universität Graz,
2014), 116–117).

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