Page 190 - Weiss, Jernej, ur. 2017. Glasbene migracije: stičišče evropske glasbene raznolikosti - Musical Migrations: Crossroads of European Musical Diversity. Koper/Ljubljana: Založba Univerze na Primorskem in Festival Ljubljana. Studia musicologica Labacensia, 1
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glasbene migracije: stičišče evropske glasbene raznolikosti

vorsah.4 Pococks Änderungen im Libretto dienten ebenfalls dazu, die Cha-
raktere der italienischen Oper an die stereotypen Charaktere des Melodra-
mas (Held, Verbrecher, Hanswurst, etc.) anzunähern und zu standardisie-
ren.

Vor diesem Hintergrund des an den Playhouses beliebten Melodramas
sind auch die musikalisch-strukturellen Veränderungen von Bishop zu er-
klären: Gut die Hälfte der Nummern der italienischen Version des Werks
wurde gekürzt (dies betraf vor allem die Finali) und innerhalb des Werks
umgestellt. Die Rezitative wurden durch Dialoge ersetzt. Zusätzlich ent-
schied sich Bishop für die Einlage von populärer Musik aus Der Zauberflö-
te in den zweiten Akt.5

Insofern transferierte die englische Adaption im Theatre Royal Covent
Garden die italienische Oper Mozarts auf musikalischer, wie auch drama-
tischer Ebene in die an den Londoner Playhouses präsente Tradition des
Melodramas. Diese Vorgehensweise kann letztlich als nichts anderes als
eine Antwort auf den Erfolg der vermeintlich authentischen italienischen
Version im King’s Theatre gesehen werden. Daraus lässt sich schließen,
dass Covent Garden klar bestrebt war, das Image der prestigeträchtigen ita-
lienischen Oper für seine eigenen Zwecke zu nutzen, sich aber, um das eige-
ne Publikum zu bedienen, für eine Adaption entschied.

Einen anderen Zugang wählte die Produktion der Burlesque Don Gio-
vanni in London, or The Libertine Reclaimed des Theatre Royal Drury Lane
aus dem Jahr 1820. Die Vorlage für diese Produktion stammt von Willi-
am Thomas Moncrieff und wurde erstmals im Don Giovanni-Jahr 1817 auf-
geführt. Bei der Aufführung 1820 wurde die Titelrolle des Don Giovan-
ni allerdings nicht in eine Sprechrolle transferiert, sondern im Sinne des
Cross-Dressings von der Sängerin Lucy Vestris verkörpert. Musikalische
Reminiszenzen an die Vorlage blieben, analog zur Tradition der Burles-
que, auf bekannte Nummern beschränkt, die aufgrund der Veränderung
der Handlung auf die Zeit nach der Höllenfahrt des Don Giovanni auch
textlich adaptiert wurden. Ein Großteil der Musik stammte hingegen aus
populären englischen Balladen und Songs. Von der Vorlage Mozarts blieb,
bis auf die Namen der Charaktere, letztlich wenig bestehen.6 Durch die
Verkörperung des Frauenhelden Don Giovanni durch Vestris ergab sich

4 Vgl. Fuhrmann, Foreign Opera, 41–42.
5 Für eine genaue Übersicht der musikalischen Nummern vgl. ebd., 43.
6 Vgl. Rachel Cowgill, „Re-Gendering the Libertine; Or, the Taming of the Rake: Lucy

Vestris as Don Giovanni on the Early Nineteenth-Century London Stage“, Cam-
bridge Opera Journal, 10/1 (1998): 47.

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