Page 108 - Vinkler, Jonatan, in Jernej Weiss. ur. 2014. Musica et Artes: ob osemdesetletnici Primoža Kureta. Koper: Založba Univerze na Primorskem.
P. 108
musica et artes

NB 7: »Peregrina I«, Nachspiel.
den) sechsten Vers volltaktig anheben lassen: »Lebe wohl ! Ach tausendmal
// hab’ ich mir es vorgesprochen«.

Daß in »Lebe wohl« die Synkope ein Hauptgestaltungsmerkmal von
Hugo Wolf Vertonung darstellt, hat bereits Georg Bieri19 – auch mit Ver-
weis auf die Ebene des Ausdrucks – hervorgehoben: »,Lebe wohl‘ von Möri-
ke beruht zur Hauptsache auf dem Prinzip der Synkopenauswertung. Zu Be-
ginn und dann nach jedem Pauseneinschnitt setzt die Gesangstimme synkopisch
ein. Das schmerzliche Abschiedsgefühl auf ,Lebe [wohl]‘ kann nicht trefflicher
zur Darstellung gebracht werden.« Und Ernst Decsey verknüpfte bei diesem
Lied sogar Wolfs so häufiges Gestaltungsmittel der »Dehnung«20 mit sei-
nem Synkopendenken, indem er den (durch Dehnung gewonnenen) Vorhalt
(ges) auf das Wort »heisst« als »Klangsynkope« sah:
[...] dieses ges hat zwei Schicksale. Zuerst ist es Septime, im nächsten Takt wird es

Vorhalt. Seine Dissonanzspannung löste der Komponist nicht auf, sondern erhöh-
te sie; der Ton erlebt ein inneres Creszendo [!] von Sept zu Vorhalt, es ist gleichsam
eine Synkope des Klanges.21
Ergänzt werden muß, daß das ges Septime eines verminderten Sept­
akkordes ist, jenes (als »dubitatio«22) alten Symbols für Unsicherheit bzw.
für einen »Zweifel«, wie es weitergehen soll – eines »vagierenden« Akkor-
des, den noch Arnold Schönberg als Sinnbild für (u. a.) eine Art Heimatlosig­
keit oder »Unbestimmtes«23 sah.
Die »Pauseneinschnitte«, nach denen »die Gesangstimme synko-
pisch« (Bieri) fortfährt, werden von Hugo Wolf in feiner Nachempfindung
der Gefühlswelt des Textes nicht nur bei einem Verswechsel eingesetzt, son-

19 Op. cit. 65.
20 Op. cit., 35-51.
21 Op. cit., 126.
22 Zur »Dubitatio« siehe Hartmut Krones, “Rhetorik und rhetorische Symbolik in der Musik um

1800. Vom Weiterleben eines Prinzips,“ Musiktheorie 3 (1988): 117-140, hier 129.
23 Arnold Schönberg, Harmonielehre (Leipzig–Wien: Universal-Edition, 1911), 217f.

106
   103   104   105   106   107   108   109   110   111   112   113